Trockenheit um Peking Wasser, das nicht von selbst kommt
Die Region um Chinas Hauptstadt gehört zu den trockensten der Welt. Um mehr als 20 Millionen Einwohner mit Wasser zu versorgen, laufen riesige Kanäle vom Süden in den Norden des Landes. Auch das löst nicht alle Probleme.
An einem kleinen Verkaufsstand im Pekinger Stadtteil Mentougou im Westen der chinesischen Hauptstadt verkauft eine Frau Mitte 50 Eier und Tofu. Direkt hinter ihrem Stand fließt der Fluss Yongding. Die Verkäuferin ist hier aufgewachsen, erzählt sie. Als sie klein war, hatte der Fluss viel mehr Wasser: "In den 1980er-Jahren ist das Wasser weniger geworden. Während meiner Schulzeit gab es immer Wasser im Fluss. Es kam aus verschiedenen Quellen. Das ganze Jahr über gab es Wasser."
In den 1990er-Jahren sei der Fluss dann trocken gewesen: "Dass jetzt wieder Wasser im Fluss ist, hängt damit zusammen, dass Wasser von außerhalb nach Peking umgeleitet wird." Dass der Fluss zwischendurch komplett ohne Wasser war, habe auch mit den Kohleminen in der Nähe zu tun, erklärt sie: "Sie pumpen das Wasser ab, um an die Kohle zu kommen. Dann sinkt der Grundwasserspiegel." Jenseits der Jahreszeiten, in denen es viel regnete, sei der Flusslauf einige Jahre lang komplett trocken gewesen.
Pro Person nur 100 Kubikmeter
Die chinesische Hauptstadt Peking mit ihren mehr als 20 Millionen Einwohnern hat ein enormes Wasserproblem. Der chinesische Wasserexperte Zhang Junfang rechnet vor: Wenn in einer Gegend weniger als 1000 Kubikmeter Wasser pro Person im Jahr zur Verfügung stehen, dann spricht man international von Wasserknappheit, unter 300 Kubikmetern von extremer Wasserknappheit. "In der Hauptstadtregion stehen pro Person nur 170 Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Wenn man die Menschen mitrechnet, die nicht hier gemeldet sind, sind es sogar weniger als 100 Kubikmeter", sagt er.
Peking ist in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewachsen - der Wasserbedarf hat sich vervielfacht.
Was die Wasserknappheit verschärft hat in den vergangenen Jahrzehnten: Die chinesische Hauptstadt ist immer größer geworden - und damit sei der Verbrauch extrem gestiegen, erklärt der Umweltaktivist Ma Jun vom nichtstaatlichen Institute of Public and Environmental Affairs in Peking. "Die Wassersituation in Peking war bis in die 1950er-Jahre relativ entspannt, denn zu dieser Zeit haben nur etwa zwei Millionen Menschen in der Hauptstadtregion gelebt. Jetzt haben wir eine dauerhafte Bevölkerung von 23 Millionen plus mehrere Millionen Arbeiter ohne festen Wohnsitz. Die Menge an Wasser, die pro Kopf verfügbar ist, ist extrem zurückgegangen."
Wasserbedarf steigt ständig
Gleichzeitig habe der Pro-Kopf-Verbrauch deutlich zugenommen, sagt Ma Jun - auch wegen des steigenden Wasserverbrauchs durch Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, durch die Landwirtschaft und durch die Industrie. Um der extremen Knappheit zu begegnen, werden in China seit Jahren schon riesige Wassermengen aus dem Süden, wo es mehr Wasser gibt, in den trockeneren Norden des Landes befördert. Entnommen wird das Wasser dem Jangtse und seinen Zuläufen und wird dann über Pumpstationen und ein gigantisches Netzwerk aus Kanälen und Wasserpipelines umgeleitet, das immer weiter ausgebaut wird.
"Jedes Jahr wird fast eine Milliarde Kubikmeter Wasser umgeleitet", sagt Ma Jun. "Teile davon verdunsten zwar, aber es ist immer noch extrem viel Wasser, das hier ankommt." Und nicht nur Peking profitiere davon: Mehrere Dutzend Städte bekommen ihr Wasser durch das Wasser Transfer-Projekt vom Süden in den Norden.
Neben den großen Wassermassen, die verdunsten, bemängeln Kritiker die enormen Kosten des Wasserumleitungsprojekts und Umweltschäden. Außerdem mussten mehr als 300.000 Menschen umgesiedelt werden, um das Projekt zu realisieren. "Was mich wirklich schmerzt, ist: Wenn die meisten Menschen den Wasserhahn in Peking öffnen, dann ist ihnen nicht bewusst, was alles dahinter steckt", sagt Umweltaktivist Ma Jun.
Mangelndes Bewusstsein für Problem
"Auf Chinesisch sagt man zu Leitungswasser 自来水/zilaishui, das 'von selbst kommende Wasser'. Aber so einfach ist es nicht", erklärt Ma Jun "von zehn Gläsern Wasser kommen sieben aus 1200 Kilometern Entfernung. Viele Menschen mussten Opfer dafür erbringen - Gerade die Menschen, die umgesiedelt wurden. Das dürfen wir nicht vergessen." Deswegen sei es wichtig, bewusst Wasser zu sparen, betont er.
Am Yongding in Peking steht ein etwa 70-jähriger Mann. Auch er ist hier aufgewachsen. Als Kind habe er in dem Fluss gebadet. Irgendwann sei das nicht mehr gegangen - wegen Verschmutzung durch Abwässer und die nahegelegenen Kohleminen, erzählt er. "Das Wasser konnte man trinken, als ich klein war. Jetzt geht das nicht mehr. Abwässer werden in den Fluss geleitet. Früher war es viel sauberer - das Wasser und auch die Umwelt generell. Jetzt gibt es hier zu viele Menschen. Es ist kompliziert geworden."
Neben Wasserknappheit ist auch Wasserverschmutzung ein großes Problem - nicht nur in Peking, sondern in ganz China. Das sagt auch Ma Jun: Es müsse noch viel getan werden. Es habe sich aber auch einiges verbessert in den vergangenen Jahren - gerade der Yongding sei ein gutes Beispiel dafür: "Seit kurzem fließt hier wieder Wasser. Das habe ich jahrzehntelang nicht gesehen. Die Wasserqualität wird auch besser. Und das muss man auch anerkennen", sagt er. "In China ist in den vergangenen zehn Jahren sehr viel in Infrastruktur investiert worden, um gegen Wasserverschmutzung vorzugehen."