Großangriff Aserbaidschans 27 Tote und viele Verletzte in Bergkarabach?
Bergkarabach meldet 27 Tote durch die aserbaidschanische Offensive. Das Land will mit einem Großangriff die Autonomie der von Armeniern bewohnten Region beenden und die vollständige Kontrolle über das Gebiet erreichen.
Der aserbaidschanische Militäreinsatz im Südkaukasus hat nach örtlichen Angaben schon am ersten Tag mehr als zwei Dutzend Menschen in der betroffenen Region Bergkarabach das Leben gekostet. Bislang seien 27 Todesopfer bestätigt, darunter zwei Zivilisten, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach (Arzach), Gegam Stepanjan, auf der Online-Plattform X, ehemals Twitter.
Darüber hinaus seien in der Konfliktregion mehr als 200 Menschen verletzt worden. Aus 16 Orten seien insgesamt etwa 7.000 Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden, so Stepanjan.
Angriff nach langer Eskalation
Nach monatelanger Eskalation im Konflikt um Bergkarabach hatten aserbaidschanische Truppen gestern Morgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung der Kaukasusregion begonnen. Die Regionalhauptstadt Stepanakert sowie weitere Städte standen nach Angaben der Vertretung Bergkarabachs in Armenien unter "intensivem Beschuss".
Kurz vor Beginn des Angriffs hatte Aserbaidschan erklärt, zwei Mitarbeiter der Straßenverwaltung seien auf eine Mine gefahren und durch die Explosion getötet worden. Vier zu Hilfe eilende Soldaten seien von einer weiteren Mine getötet worden.
Das Verteidigungsministerium in Baku erklärte, daraufhin seien Ziele an der Front und im Hinterland, Geschützpositionen und militärische Einrichtungen mit Präzisionswaffen außer Gefecht gesetzt worden. Nur militärische Ziele seien angegriffen worden. Aserbaidschan warf den armenischen Streitkräften außerdem vor, sie hätten Schuscha beschossen - eine Stadt in Bergkarabach, die von Aserbaidschan kontrolliert wird. Dabei sei ein Zivilist getötet worden.
Aserbaidschan fordert Kapitulation
Bergkarabach fordere Aserbaidschan im Onlinedienst Telegram auf, das Feuer sofort einzustellen und Verhandlungen aufzunehmen, erklärte das Außenministerium der abtrünnigen Region.
Aserbaidschan erklärte sich zu Verhandlungen bereit, forderte dafür aber eine Kapitulation der armenischen Separatisten in Bergkarabach. Die armenischen Truppen in der Region müssten sich auflösen und ihre Waffen abgeben, das "illegale Regime" müsse sich auflösen, erklärte die Präsidialverwaltung in Baku. Andernfalls würden die "Antiterror-Einsätze bis zum Ende fortgesetzt".
"Genug ist genug. Wir können es nicht länger dulden, dass sich solche Streitkräfte auf unserem Territorium befinden", sagte der Präsidentenberater Hikmet Hejiyev der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf militärische Kräfte in der Exklave. Nach seinen Angaben sind Einheiten Aserbaidschans an mehreren Stellen der Front durchgebrochen.
Das armenische Außenministerium erklärte, weder Truppen noch Waffen des Landes seien in Bergkarabach stationiert. Gerüchte über Sabotage und das Legen von Landminen seien "eine Lüge und fingiert".
Signal der Entspannung am Vortag
Die umstrittene Region liegt auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnt. Die beiden Nachbarländer kämpfen seit Jahrzehnten um Bergkarabach. Seit dem Ende eines Separatistenkriegs 1994 wird die Region von ethnischen Armeniern kontrolliert, die von Armenien unterstützt werden. 2020 eroberte Aserbaidschan einen großen Teil der Region zurück.
Seit Ende vergangenen Jahres blockiert Aserbaidschan Lieferungen in die Enklave, was dort zu einer ernsten Lebensmittelknappheit führte. Am Montag gestattete Aserbaidschan schließlich Hilfslieferungen des Roten Kreuzes mit Mehl und medizinischen Gütern. Die Regionalbehörden in Bergkarabach erklärten jedoch, die Straße sei noch immer nicht vollständig geöffnet.
RIA: Russland evakuiert Zivilisten
Armenien gilt als militärisch unterlegen. Aserbaidschan wird in dem Konflikt von der Türkei unterstützt. Russland ist traditionelle Schutzmacht Armeniens, vermittelte einen Friedensvertrag und hat in der Gegend eine mehrere Tausend Mann starke Friedenstruppe stationiert.
Armenien hat der russischen Friedenstruppe wiederholt vorgeworfen, sie sei nicht Willens oder nicht in der Lage, die Straße nach Bergkarabach offenzuhalten. Nun rief Armenien russische Truppen zur Hilfe. Die Agentur RIA meldete, diese hätten fast 500 Zivilisten aus den umkämpften Gebieten evakuiert und Verwundete versorgt.
Moskau fordert Ende des Blutvergießens
Am Abend rief das Außenministeriums in Moskau die Konfliktparteien auf, die blutigen Auseinandersetzungen zu beenden und zum Waffenstillstand zurückzukehren.
"Vor dem Hintergrund der starken Eskalation der bewaffneten Konfrontation in Bergkarabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergießen und die Feindseligkeiten sofort einzustellen und zivile Opfer zu vermeiden", hieß es in einer Erklärung auf der Kurznachrichtenplattform Telegram.
Türkei stellt sich hinter Aserbaidschan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich dagegen erneut hinter Aserbaidschan. Das sagte Erdogan zu Beginn der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York.
Derweil bot sich der Iran als Vermittler an. Der iranische Außenamtssprecher Nasser Kanaani forderte die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens von 2020 zwischen den Ländern, die beide eine Grenze mit dem Iran teilen. Erst vor wenigen Tagen hatte Irans Verteidigungsminister Mohammed-Resa Aschtiani vor einem Krieg in der Region gewarnt. Der Iran unterhält wie Russland gute Beziehungen zu Armenien.
Auch die Europäische Union forderte den Stopp der Kampfhandlungen und erklärte sich ebenso wie die USA zur Vermittlung bereit. Frankreich, das traditionell eng mit Armenien verbunden ist, forderte wegen des Militäreinsatzes eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats an, wie das französische Außenministerium mitteilte. Diese soll am Donnerstag stattfinden, wie aus Diplomatenkreisen verlautete.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande der UN-Vollversammlung, es sei "ganz klar, dass diese Kriegshandlungen sofort beendet werden müssen". Es gehe darum, "wieder zurückzukehren zum Pfad der Diplomatie".