Lockdowns und Massentests Kritik an Chinas Covid-Maßnahmen wächst
In der 26-Millionen-Metropole Shanghai gilt seit Montag ein schrittweiser Lockdown - der bisher größte in China. Die Volksrepublik hält an der Null-Covid-Strategie fest, doch die Kritik nimmt zu.
Zwangsweise eingesperrt, massenweise durchgetestet und nicht informiert werden, wie es weitergeht: Das erleben gerade Millionen Menschen in mehreren Städten in China. Die größte Metropole des Landes, Shanghai, ist nun mit mehr als 26 Millionen Einwohnern in einem strikten Lockdown. Der gesamte öffentliche Nahverkehr wird eingestellt und die Menschen müssen in ihren Häusern bleiben.
Zuerst ist die eine Hälfte der Stadt dran, die Seite östlich des Huangpu-Flusses, der durch Shanghai fließt. Ab Freitag dann der westliche Teil der Stadt, jeweils, so angekündigt, für fünf Tage.
Hamsterkäufe und strenge Regeln
"Die Leute spüren immer noch die Panik. Deshalb kaufen sie in der ganzen Stadt panisch Lebensmittel ein", sagt eine 30-jährige Einwohnerin und denkt dabei auch an die vergangenen Wochen zurück. Sie möchte wie all unsere Gesprächspartner bei diesem Thema anonym bleiben. "Im Großen und Ganzen ist es doch so, dass in allen Stadtteilen schon vor dem großen Lockdown zahlreiche Sperrungen stattgefunden haben, von zwei bis hin zu 14 Tagen. Die Menschen waren überwältigt."
Auch in den Stadtgebieten, die aktuell von dem großen Lockdown noch nicht betroffen sind, sind die Regeln strenger geworden. Um Bürogebäude betreten zu können, ist nun zum Beispiel ein PCR-Test erforderlich. Das entscheiden die Unternehmen nicht selbst, sondern die Behörden.
"Es dauert mindestens ein bis zwei Stunden, sich für einen Test anzustellen, und bis man ein Ergebnis erhält, vergeht noch viel mehr Zeit", sagt ein genervter Geschäftsmann. "Das ist sehr lästig. Leute aus Shanghai dürfen jetzt auch nirgendwo mehr hinfahren. Ich kann also nicht auf Geschäftsreise gehen."
Ein Polizist kontrolliert eine Tunneleinfahrt in Shanghai. Die Bewegungsfreiheit der Einwohner ist stark eingeschränkt.
Frust über die strengen Maßnahmen wächst
Hinzu kommen Geschichten, die in den sozialen Netzwerken viral gehen und für Unmut sorgen, wie am vergangenen Freitag noch vor dem großen Lockdown: Eine Krankenschwester stirbt an einem Asthma-Anfall, weil die Notaufnahme wegen der Corona-Maßnahmen geschlossen und das Krankenhaus-Personal für die Massentestungen in der Stadt eingesetzt ist.
Schon im Januar gab es einen ähnlichen Fall: Während eines strikten Lockdowns in der Millionenstadt Xi’an hat eine im achten Monat schwangere Frau ihr Kind verloren, weil sie ohne negativen PCR-Test mit starken Blutungen nicht ins Krankenhaus gelassen wurde.
Frust macht sich breit über die strikten Corona-Maßnahmen in China.
Ein Bewohner Shanghais wird in einer Quarantäneeinrichtung registriert.
Kritik nimmt zu, trotz fehlender Meinungsfreiheit
Das sieht auch ein chinesischer Professor für Psychologie so, der mittlerweile in den USA lebt. Aus Sicherheitsgründen nennen wir seinen Namen nicht. "Es hat zu lange gedauert. Am Anfang dachten die Leute, es würde nur Monate dauern, und das schien erträglich zu sein. Toleranz ist das, was Asiaten am besten können", sagt er. "Aber jetzt sind es schon zwei Jahre. Inzwischen haben alle Städte, von der kleinsten bis zur größten, in gewissem Maße Erfahrungen mit Abriegelungen gemacht."
Einen richtigen Protest gegen die Covid-Maßnahmen gibt es in China nicht, Presse- und Meinungsfreiheit auch nicht. Trotzdem sind immer mehr regierungskritische Stimmen zu vernehmen.
Die zunehmende Unzufriedenheit habe auch damit zu tun, dass die Wirtschaft nicht mehr so stark wachse, sagt der Professor. Das mache sich direkt im Leben der Menschen bemerkbar.
Omikron fordert Null-Covid-Strategie heraus
Neben großen Unternehmen sind auch viele kleine Geschäftsleute von den strikten Maßnahmen betroffen, wie zum Beispiel ein Cafébesitzer in Shanghai. Er sagt, er habe in den vergangenen Monaten bis zur Hälfte weniger Umsatz gemacht - jetzt muss er wegen des Lockdowns wieder für fünf Tage dichtmachen.
"Meine Freunde aus dem Ausland haben mir erzählt, dass Omikron eine vergleichsweise milde Variante ist", sagt er. Sie sei harmloser als eine schwere Grippe und gehe schnell wieder vorbei. Die strikten Maßnahmen werfen bei ihm deshalb zunehmend Fragen auf.
Aber die chinesische Staats- und Parteiführung hält weiterhin an der Null-Covid-Strategie fest, die durch die sich leichter verbreitende Omikron-Variante auf die Probe gestellt wird.
Viele Ältere nicht geimpft
Tatsächlich äußern sich viele Beobachter besorgt darüber, was passieren könnte, wenn Omikron in China außer Kontrolle gerät. Denn auch wenn kein Land der Welt mehr Impfdosen verabreicht hat als China, sind vor allem viele ältere Menschen in der Volksrepublik nicht geimpft.
Im Gegensatz zu den meisten Ländern hat China zuerst die Jüngeren geimpft, die arbeiten gehen und die Wirtschaft am Laufen halten. Nur die Hälfte der über 80-Jährigen in China hat einen vollständigen Impfschutz, etwa 20 Prozent von ihnen haben einen Booster erhalten.