Lohnabzug wegen Verspätung Lokführer in Japan erhält 40 Cent zurück
Weil ein Lokführer in Japan einen Zug eine Minute verspätet abstellte, kürzte ihm der Arbeitgeber das Gehalt - um 40 Cent. Dagegen klagte der Mann. Das Geld erhält er zurück, bessere Arbeitsbedingungen erreichte er nicht.
Zugfahren in Japan ist ein Erlebnis. Der Shinkansen zum Beispiel, der japanische ICE, ist so etwas wie der Stolz der Nation. Wenn einer dieser futuristischen Züge mit der langen Nase in seinen Endbahnhof einfährt, bleibt er exakt zwölf Minuten stehen.
Fünf Minuten sind einkalkuliert fürs Ein- und Aussteigen, sieben fürs Putzen. Genau zwölf Sekunden hat der Reinigungstrupp pro Sitzreihe Zeit, dann muss alles sauber sein. Für den von Verspätungen geplagten deutschen Zugfahrer ist das ein faszinierendes Schauspiel.
Auf die Sekunde genau sein, lautet das Ziel
Selbstverständlich gilt dieser strenge Zeitplan, diese Disziplin, auch für die Lokführer selbst: "In Japan werden die Zugführer darauf geschult, die Züge auf die Minute oder Sekunde genau zu steuern", erklärt der Generalsekretär der Gewerkschaft West Japan Railway Workers Union, Makoto Maekawa. "Das ist auch im Laufe ihrer Dienstjahre für sie selbstverständlich. Sie versuchen, pünktlich zu fahren und diese Erwartungen auch streng zu erfüllen."
Genau dieser Maxime ist auch Hirofumi Wada während seiner 40 Jahre beim Bahnunternehmen West Japan Railwy Company (JR West) gefolgt. Bis zu jenem schicksalhaften Morgen im Juni 2020 in der westjapanischen Provinz.
Wada sollte einen ausrangierten Zug ins Depot fahren. Aber er wartete auf dem falschen Gleis auf den leeren Zug. Bis er den Fehler bemerkte, dauerte es zwei Minuten. Die Übergabe mit dem anderen Lokführer verzögerte sich dementsprechend.
Wada holte noch eine Minute rein
Der Pechvogel beeilte sich, gab Gas, holte eine Minute Verspätung wieder rein, kam aber trotzdem noch eine Minute zu spät ins Depot. Da sagte der Arbeitgeber: keine Arbeit, kein Lohn - und zog ihm schließlich rund 40 Cent vom Gehalt ab.
"Die japanischen Eisenbahnen bemühen sich so sehr um Pünktlichkeit, und ich denke, die Öffentlichkeit erwartet das auch", sagt die Anwältin Akane Nishiyama. "Aber die Frage ist: Wenn die Lokführer das nicht erfüllen, kann ihre Arbeit dann als Nicht-Arbeit behandelt werden?" Nishiyama vertritt Lokführer Wada, der gegen den Lohnabzug geklagt hatte.
Dabei geht es dem Kläger weniger um die 40 Cent an sich, sondern mehr um eine nachhaltige Veränderung der Unternehmenskultur. Ein paar Sekunden Verspätung und schon muss man an einer sogenannten Disziplinarschulung teilnehmen: Züge putzen, Entschuldigungsbriefe schreiben. Ein unwürdiger Umgang mit den Mitarbeitern.
Lokführer unter Druck
Der Druck, Züge sekundengenau an ihr Ziel zu bringen, führte bereits 2005 zu einer Katastrophe. Um eine Verspätung aufzuholen, fuhr ein Lokführer zu schnell in die Kurve. Der Zug entgleiste, über 100 Menschen starben: "Kommt es zu einer Verspätung, kann dies dazu führen, dass der Fahrer ungeduldig wird, oder in unangemessener Weise fährt, um die Verspätung aufzuholen", so der Gewerkschafter Maekawa.
Das habe auch Wada gesagt. "Um das in Zukunft zu verhindern, will Wada mit dieser Klage eine Umgebung schaffen, in der die Fahrer ohne Druck und Stress vernünftig arbeiten können."
Das ist Wada nicht gelungen. Er hat zwar Recht bekommen, JR West muss ihm die 40 Cent Lohn zurückzahlen. Aber weder die geforderten knapp 15.000 Euro Schadenersatz noch die Anwaltskosten muss das Unternehmen zahlen. Dieses Urteil wird den Bahnkonzern wohl kaum motivieren, den Umgang mit seinen Mitarbeitern zu überdenken. Der Kampf von Hirofumi Wada war vergeblich.