Trinkkultur in Japan Zum Wohl - der Staatskasse
In Japan trinken die Menschen immer weniger Alkohol. Das mag für ihre Gesundheit gut sein, schwächt aber die Staatskasse. Eine Kampagne soll den Konsum anheizen - doch die stößt auf Kritik.
"Die jungen Leute lassen sich einfach nicht mehr so leicht einladen," sagt Herr Tokumuto und nimmt einen tiefen Schluck von seinem Bier. Mit zwei seiner Mitarbeiter sitzt der Mittvierziger in einem Izakaya, einer Sake-Kneipe, es ist Freitagabend im Tokioter Stadtteil Shibuya. Die drei arbeiten für eine Kreditkartenfirma und haben jetzt Feierabend - zumindest teilweise. Denn noch will Herr Tokumuto trinken - und wenn der Chef das möchte, dann sagt man nicht Nein.
Der "Nomikai", wörtlich übersetzt mit "Trink-Treffen", galt lange Zeit in Japan als Pflichtveranstaltung vor dem Wochenende. Doch gerade junge Menschen widersetzen sich diesem Ritual. Einer der Gründe, weshalb der Alkoholkonsum des Landes rapide abnimmt - und damit die Einnahmen für den Fiskus. Während vor zehn Jahren die Alkoholsteuer noch drei Prozent der gesamten Steuereinnahmen ausgemacht hat, sind es seit Pandemiebeginn nur mehr 1,7 Prozent.
Herr Tokumoto mit seinen Angestellten beim Nomikai - einem "Trinktreffen" nach der Arbeit.
Veränderte Trinkgewohnheiten
Außerdem hat die Corona-Zeit die Trinkgewohnheiten verändert - viele Bars waren komplett oder ab 20 Uhr geschlossen, die Menschen verbrachten mehr Zeit zu Hause. So auch der 20-jährige Student Yoshiki Takahashi. Er hat sich während der Pandemie ziemlich zurückgezogen, hing vorher gerne zum Fußballgucken und Biertrinken in Sportkneipen ab. Jetzt trinkt er weniger, fühlt sich fitter - wie viele junge Menschen, die zum Teil ganz bewusst auf Alkohol verzichten.
Die Regierung hat nun "Sake Viva!" ins Leben gerufen - eine Kampagne, die sich an junge Menschen zwischen 20 und 39 Jahren richtet, denn ab 20 darf in Japan legal Alkohol konsumiert werden. Bis Anfang September sind sie aufgerufen, Ideen beizusteuern, wie das Alkoholtrinken in Japan revitalisiert werden kann - etwa mit anderen Werbebotschaften oder neuen Getränken.
Eiji Kusumi ist Direktor einer Tokioter Klinik und sehr irritiert über die Kampagne der Nationalen Steueragentur. Er gibt zu: "Ich liebe Alkohol, deshalb tue ich mein Bestes, um einen angemessenen Konsum zu fördern." Durch die Kamapgne der Regierung werde es allerdings unweigerlich zu einem Anstieg von Suchtfällen oder alkoholbedingten Gesundheitsproblemen kommen, meint der Arzt. Auch wenn kurzfristig mehr Geld in die Staatskasse gespült würde - auf lange Sicht stiegen so die Ausgaben für das Gesundheitssystem und es komme katerbedingt zu Arbeitsausfällen am nächsten Tag.
Freitagabend im Tokioter Ausgehviertel Shibuya: Die Bars sind gut gefüllt - doch die Einnahmen aus der Alkoholsteuer reichen dem Staat nicht.
"Natürliche Sache" für Steuerbehörde
Alkohol hat gerade in Japan eine gesellschaftliche Relevanz. In einem Land, in dem es vielen Menschen schwer fällt, aus sich herauszugehen, kann Alkohol die Zunge lockerer und das erste Kennenlernen einfacher machen. Doch ist den Konsum zu befeuern wirklich die richtige Methode? Interviews gibt die Steueragentur nicht, beantwortet die Fragen immerhin schriftlich: Es gehöre zur Rolle der Behörde, die "gesunde Entwicklung des Alkoholgeschäfts zu unterstützen". Angemessenes Trinken sei eine "natürliche Sache." Keinesfalls aber wolle man ausuferndes Trinken fördern.
Doktor Eiji Kusumi glaubt: Der Anreiz zum Alkoholkonsum könnte, wenn er erfolgreich ist, die Staatskasse noch viel teurer zu stehen kommen.
In den sozialen Medien wird die Kampagne heftig kritisiert - auf der Straße weniger. Die 20-jährige Tsubasa Izumisu findet "Sake Viva!" keinesfalls verwerflich. Wenn man nicht täglich trinke, sondern es als eine Art Belohnung ansehe, sei das durchaus legitim, findet sie. Ansprechende Werbung mache den Verzehr alkoholischer Getränke allerdings durchaus verlockend. "Ich komme schon ein wenig in Trinklaune, wenn ich durch die Stadt laufe und überall Fotos sehe, auf denen alkoholische Getränke so lecker aussehen", sagt sie. Die Studentin hat das legale Trinkalter gerade erst erreicht - und gewöhnt sich an das Hochprozentige erstmal zu Hause, "damit ich nicht besinnungslos durch die Straßen torkle".
Je später es wird an diesem Freitagabend im Stadtteil Shibuya, desto mehr Menschen laufen in Schlangenlinien durch die Gassen, verbringen die Nacht im Büro-Outfit in Hauseingängen, weil der letzte Zug nach Hause schon abgefahren ist. Herr Tokumoto und seine zwei Angestellten überlegen, in welche Bar sie nun weiterziehen. Einige Promille haben sie schon im Blut, die Ideen sprudeln nur so aus dem Mittvierziger. "Lasst uns trinken gehen - jeden ersten des Monats!", ruft er. "Subventioniert vom Staat. Das wäre doch mal was."