Schul-Abriss im Westjordanland Die Bulldozer kamen zur Schulzeit
Dutzenden Schulen im besetzten Westjordanland droht der Abriss. Laut israelischen Behörden wurden sie illegal gebaut. Die EU, die viele Schulen finanziert hat, hält das für einen Verstoß gegen internationales Recht.
Übriggeblieben ist nur ein großer Schutthaufen. Daran lehnt ein Wellblech, auf das in großen Lettern gesprayt steht: "Das war eine Schule." Die 22 palästinensischen Grundschulkinder lernen nun in einem Zelt. Dessen dünne Wände bieten wenig Schutz vor Wind und Regen auf den schroffen Hügeln im südlichen Westjordanland.
"Sie kamen mit Bulldozern und haben die Schule zerstört, wir sind aus den Fenstern geklettert", erzählt die neunjährige Deana. Das war am 23. November, als das israelische Militär die Schule abgerissen hat. Das einstöckige Gebäude war erst Anfang des Monats gebaut worden, mit Geldern der EU und von EU-Mitgliedsstaaten.
Israel spricht von illegal gebauten Schulen
Israelische Behörden rechtfertigen den Abriss. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es, die Schule sei ein "illegal errichtetes Gebäude im Bereich der Feuerzone 918 südlich von Hebron, die Vollstreckung erfolgte in Übereinstimmung mit den Behörden und Verfahren sowie aufgrund operativer Erwägungen".
1981 haben israelische Behörden das etwa 3000 Hektar große Gebiet Masafer Yatta zu einem militärischen Übungsgelände erklärt. Seitdem versuchen sie immer wieder, die Region, in der rund 1200 Palästinenser leben, zu räumen.
Die Schule, die mit EU-Geldern finanziert wurde, ist nun provisorisch in einem Zelt untergebracht.
Mehr als 50 Schulen droht Abriss
Vier weitere Schulen sollen dort abgerissen werden. Auch sie wurden von der Europäischen Union und EU-Mitgliedsstaaten finanziert.
Insgesamt droht mehr als 50 Schulen in Ostjerusalem und den von Israel kontrollierten Gebieten im Westjordanland der Abriss. Sie seien ohne Baugenehmigung illegal gebaut worden, argumentieren die israelischen Behörden.
Die Erinnerung an den Bulldozer-Einsatz ist den Schülern noch gegenwärtig - wie lange sie in dem Zelt bleiben können, wissen sie nicht.
EU kritisiert Israel
"Nach internationalem Recht sind sie eben nicht illegal", entgegnet Sven Kühn von Burgsdorff, Vertreter der EU in den Palästinensischen Gebieten. Diese Schulen seien die Einrichtungen, die die Bevölkerung benötigt, um hier leben zu können.
Die EU wirft Israel vor, mit der Zerstörung von Schulen und Gebäuden das Völkerrecht zu verletzen. Denn rund 60 Prozent der von Israel besetzten Gebiete im Westjordanland stehen unter vollständiger israelischer Kontrolle.
Laut internationalem Recht sei die Besatzungsmacht, also Israel, verantwortlich für das Wohl der Bevölkerung, erklärt der EU-Vertreter. Weil Israel seinen Verpflichtungen nicht nachkomme und nur weniger als ein Prozent der Bauanträge von Palästinensern für Schulen und andere Einrichtungen genehmige, müsse die internationale Gemeinschaft diese Pflicht übernehmen und beispielweise Schulen bauen.
Ultrarechte Parteien fordern mehr Abrisse und Siedlungsbau
Die EU fordert, dass Israel die Abrisse stoppt. Mit der neuen rechten Regierung in Israel wird allerdings wohl das Gegenteil passieren. "Das ist unser Land", sagt Jehonadav Weinberger, der in der israelischen Siedlung Karmel im Süden des Westjordanlandes, wenige Kilometer von der jüngst abgerissenen Schule lebt.
Er erwarte, dass die wahrscheinlich nächste Regierung "Recht und Ordnung walten lässt und illegale Bauten stoppt". Gleichzeitig solle die Regierung Juden mehr Land zum Siedeln geben, auch in den umstrittenen Gegenden.
Diese Wünsche könnte die wahrscheinliche neue Regierung erfüllen. Benjamin Netanyahus ultrarechte Wunschpartner wollen strenger gegen palästinensische Bauten ohne Baugenehmigung im Westjordanland vorgehen und gleichzeitig mehr Siedlungen für israelische Siedler genehmigen. Und Netanyahu ist angewiesen auf sie, um eine Regierung zu bilden.
Die Schulkinder in Masafer Yatta wissen nicht, wie lang ihre provisorische Zeltschule noch steht. "Auch wenn sie es abreißen, wir bleiben auf unserem Land und bauen es wieder auf", sagt die neunjährige Deana. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass wenige Tage später israelische Soldaten erneut anrücken würden. Mittlerweile ist auch die Zeltschule abgerissen. Stühle, Tische und das Klo sind beschlagnahmt. Die Kinder sind es schon gewohnt - der Konflikt ist schließlich Teil ihres Alltags.