Israels Regierung ohne Mehrheit Nach kurzer Stabilität wieder Ungewissheit
Ist die Stabilität schon wieder beendet? Israels Regierung hat im Parlament überraschend die Mehrheit verloren. Eine Abgeordnete der Regierungspartei Jamina verließ die Koalition. Die Folgen sind unklar.
Dass er sich nicht mehr auf eine Parlamentsmehrheit stützen kann, erfuhr Israels Regierungschef aus den Medien. Erst danach bekam Naftali Bennett diese Nachricht dann schriftlich. Idit Silman, Parlamentsabgeordnete von Bennets nationalreligiöser Jamina-Partei und bisher Mehrheitsführerin der Regierungskoalition im Parlament, teilte Bennett mit, sie lege ihr Amt nieder und entziehe der Koalition ihre Unterstützung.
Streit über Speisevorschriften
Der offizielle Anlass ist ein Streit um gesäuerte Lebensmittel, deren Verzehr gläubigen Juden während des bevorstehenden Pessach-Festes nicht gestattet ist. Gesundheitsminister Nitzan Horowitz erlaubte aber die Mitnahme solcher Speisen während der Pessach-Feiertage in Krankenhäuser und setzte damit ein Gerichtsurteil um. Silman warf Minister Horowitz vor, die Bürger Israels zu verachten.
Silman erklärte: "Ich muss ihm danken, denn er hat mir die Augen geöffnet. Manchmal verliert man seinen Weg bei all der vielen Arbeit, aber das Volk Israels besitzt Werte, die wir auch in dieser Regierung nicht aufgeben dürfen." Man müsse die Bevölkerung respektieren.
Ein anderer Grund wohl entscheidend
Tatsächlich ist der Streit um die Lebensmittelmitnahme aber wohl eher ein vorgeschobener Grund, um die Koalition aus ideologischen und taktischen Gründen verlassen zu können. Wie andere in der Jamina-Partei hat sich Silman in dem Acht-Parteien-Bündnis aus allen politischen Lagern, inklusive einer arabischen Partei, nie wirklich wohlgefühlt.
In ihrem politischen Abschiedsschreiben an Premier Bennet verlangte Silman nun von ihm, einen neuen Kurs einzuschlagen. Sie sprach sich für die Bildung einer nationalen, jüdischen und zionistischen Regierung aus und rief andere Parlamentsabgeordnete rechter Parteien in der Koalition dazu auf, dem Bündnis ebenfalls den Rücken zu kehren.
Netanyahu gratulierte Silman
Benjamin Netanyahu, Ex-Premier und aktueller Oppositionsführer, gratulierte Silman zu ihrer Entscheidung und betonte, er nehme sie gerne wieder im nationalen Lager auf: "Du hast bewiesen, dass echte Volksvertreter ihrem eigenem Gewissen folgen." Alle, die mit Stimmen des nationalen Lagers gewählt wurden, fordere er auf, sich ihr anzuschließen und "nach Hause" zurückzukehren: "Ihr werdet alle mit offenen Armen empfangen."
Medienberichten zufolge wurde Silman im Falle von Neuwahlen ein sicherer Listenplatz in Netanyahus Likud-Partei und bei einer Regierungsbildung das Amt der Gesundheitsministerin versprochen.
Steht die Koalition vor dem Aus?
Durch Silmans Rückzug kommt die Koalition von Bennett nur noch auf 60 Sitze in Israels Parlament, der Knesset, hat also keine eigene Mehrheit mehr. Die Opposition um Netanyahus Likud hat diese Mehrheit bisher aber auch nicht - denn die Vereinigte Liste, ein Zusammenschluss verschiedener arabischer Parteien, wird Netanyahu nicht unterstützen. Sie wird aber auch der Regierungskoalition voraussichtlich nicht beitreten.
Das Bündnis Bennetts, das erst seit dem vergangenen Sommer reagiert, steht also vor dem Aus, fürchtet Gilad Kariv, Abgeordneter der Arbeitspartei, die der Regierungskoalition angehört: "Der Rücktritt Silmans wird uns im weiteren Verlauf in Neuwahlen ziehen. Das ist eine Katastrophe für die israelische Gesellschaft."
Zwei Jahre steckte Israel in einer politischen Dauerkrise mit insgesamt vier Parlamentswahlen. Die Regierungsbildung durch Bennett brachte dem Land schließlich politische Stabilität. Damit könnte es nun vorbei sein.