Mehr Geld für Ultraorthodoxe Wie Netanyahu sich die Zustimmung zum Haushalt erkaufte
Israels Regierungsparteien haben den Haushalt von Premier Netanyahu absegnet. Große Gewinner sind die ultrareligiösen Koalitionspartner. Kritiker warnen, deren Klientel könnte sich nun noch weiter von der Gesellschaft entfernen.
Die Regierung von Benjamin Netanyahu hat eine wichtige Hürde genommen: Früh am Morgen hat die Knesset, das israelische Parlament, den Haushalt für die Jahre 2023 und 2024 verabschiedet. Alle Abgeordneten der Regierungskoalition stimmten am Ende dafür. Der Staatshaushalt beträgt für 2023 umgerechnet mehr als 120 Milliarden Euro und fast 130 Milliarden für 2024.
Bis zuletzt war über den Haushalt verhandelt worden. Bis zum 29. Mai war noch Zeit, um ein Scheitern der Regierung abzuwenden. Dass die Entscheidung nun sogar früher und einhellig fiel, ist ein Erfolg für Premier Netanyahu.
Sonderetat von 3,5 Milliarden Euro
Seit Ende Dezember ist er an der Regierung. Um eine Mehrheit im Parlament zu haben, hat er nationalreligiöse, ultrareligiöse und zum Teil extremistische Parteien in seine Koalition geholt. Schon bei den Koalitionsverhandlungen hatte er ihnen große finanzielle Zusagen gemacht.
Vor allem die ultrareligiösen hatten in den vergangenen Wochen an diese Zusagen erinnert und mehr Geld für ihre Klientel, die ultraorthodoxen Juden in Israel, gefordert. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand bis zuletzt der so genannte Koalitionsfonds, ein Sonderetat von umgerechnet mehr als 3,5 Milliarden Euro, mit dem die Begehrlichkeiten abgedeckt werden sollten. Auf dem Wunschzettel stand unter anderem mehr Geld für den Siedlungsbau.
Es soll mehr Geld für ultraorthodoxe Schulen geben
Aber vor allem die Forderungen der ultrareligiösen Parteien haben in Israel zuletzt für viel Diskussion gesorgt. Mit dem nun beschlossenen Haushalt wird es mehr Geld für religiöse Schulen für ultraorthodoxe Juden geben. Auch wenn bei vielen dieser Schulen Fächer wie Englisch und Mathematik nicht auf dem Lehrplan stehen.
Nach Zahlen des Bildungsministeriums wurden 2019 über 90.000 ultraorthodoxe Schülerinnen und Schüler nicht in diesen Kernfächern unterrichtet. Deshalb gelten ihre Integrationschancen in den israelischen Arbeitsmarkt als gering. Das gilt auch für männliche, verheiratete Ultraorthodoxe, für die es nun mehr Subventionen geben soll, wenn sie, anstatt zu arbeiten, an einer Thora-Schule lernen.
Außerdem werden mehr Lebensmittelgutscheine für ultrareligiöse und in der Regel kinderreiche Familien finanziert. Darüber hinaus soll eine neue Behörde aufgebaut werden, die sich um das Thema "jüdische Identität" kümmert. Insgesamt wird so eine Milliardensumme in Richtung Ultraorthodoxe umgeschichtet.
Ökonomen warnen vor langfristigen Schäden
Die Integration der ultraorthodoxen Juden in die israelische Gesellschaft ist Gegenstand vieler Diskussionen: Sie machen über 13 Prozent der Bevölkerung aus, weil sie überdurchschnittlich viele Kinder bekommen - mit stark steigender Tendenz. Nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen ist in den Arbeitsmarkt integriert. Der Anteil der ultraorthodoxen Bevölkerungsgruppe am israelischen Einkommensteueraufkommen beträgt laut der Statistikbehörde lediglich zwei Prozent.
Die Opposition kritisiert am nun beschlossenen Haushalt, dass er die Lebensform der Ultraorthodoxen weiter subventioniert, damit verfestigt und einer Integration entgegensteht. Rund 200 Wirtschaftswissenschaftler haben in einem offenen Brief vor möglichen auch langfristigen Schäden für die israelische Wirtschaft gewarnt.
Netanyahus Regierung bleibt stabil
Ein Streitpunkt ist dabei auch, ob ultraorthodoxe Juden verstärkt zum Wehrdienst eingezogen werden sollen oder nicht. Die politischen Parteien in der Regierung, die sie vertreten, fordern eine De-Facto-Befreiung für die Ultraorthodoxen vom Wehrdienst, der in Israel für Männer drei Jahre dauert. Daran gibt es einerseits Kritik, weil viele Israelis auch von den Ultraorthodoxen eine Beteiligung an der für Israel wichtigen Verteidigung des Landes verlangen. Andererseits gibt es die Hoffnung, die Armee könnte zur Integration der Ultraorthodoxen beitragen.
Netanyahus ultrareligiöse Koalitionspartner hatten in den Verhandlungen zum Haushalt versucht, auch bei diesem Thema voranzukommen. Doch Netanyahu fürchtete offenbar den Protest der Massen, sollte der Wehrdienst für streng religiöse Juden de facto abgeschafft werden.
Am Ende brachte die Umschichtung von einer Milliardensumme den Durchbruch. Und für Netanyahu hat wieder einmal funktioniert, was in Israel schon seit Jahrzehnten Praxis ist: Die Zustimmung im Parlament wurde erkauft. Seine Regierung ist stabil - und kann sich jetzt wieder Themen wie der umstrittenen Justizreform zuwenden.