Überlebende des Hamas-Terrors Grauen, Ohnmacht - und ein Lebenszeichen
Was Überlebende des Terrorangriffs berichten, macht fassungslos - und das Schicksal vieler nach Gaza verschleppter Männer, Frauen und Kinder ist nach wie vor vollkommen ungewiss. Ein Lichtblick: Die entführte Deutsche Shani Louk soll am Leben sein.
Eine junge Frau liegt halbnackt mit dem Gesicht nach unten auf der Ladefläche eines Pick-ups. Ihre Beine sind verdreht. Sie ist offenbar bewusstlos. Um sie herum sitzen und stehen bewaffnete Hamas-Terroristen, einer spuckt sie an. Dann fährt der Wagen weg. Seit dem Wochenende kursiert das Video, das diese erschreckende Szene zeigt, im Internet.
Ihre Familie hat die junge Frau schnell anhand ihrer markanten Tattoos identifiziert. Es handelt es sich um die 22 Jahre alte Deutsche Shani Louk. Die junge Frau ist am Wochenende während des Großangriffs der Hamas aus Israel in den Gazastreifen entführt worden, gemeinsam mit zahlreichen weiteren Opfern.
Die Lage vieler Geiseln ist ungewiss. Tagelang war auch unklar, wie es Shani Louk geht, ob sie überhaupt noch lebt. Nun ein Lebenszeichen: Die verschleppte Deutsche liegt schwerverletzt in einem Krankenhaus in Gaza. Das sagt Shanis Mutter in einem Video, das der tagesschau vorliegt. Darin appelliert die Mutter auch eindringlich an die Bundesregierung, bittet um schnelle Hilfe.
"Man muss jetzt schnell handeln"
"Ich bin die Mutter der entführten Shani Louk. Wir haben jetzt weitere Informationen, dass Shani am Leben ist, aber eine schwere Kopfverletzungen hat und in kritischer Situation ist", sagt Ricarda Louk in dem Videostatement: "Wir verlangen von der deutschen Regierung, dass sie schnell handelt. Man sollte sich nicht über Zuständigkeitsfragen streiten. Man muss schnell handeln, um Shani aus dem Gazastreifen zu holen. Das ist mein verzweifelter Aufruf an das ganze Land Deutschland, mir zu helfen, meine Shani gesund zurückzubekommen."
Ihre Tochter Shani hatte am Samstag mit Hunderten anderen jungen Menschen auf einem Musikfestival nahe dem Kibbuz Reim in der Nähe des Gazastreifens gefeiert. Orly Louk, Shanis in Baden-Württemberg lebende Tante, schilderte der Nachrichtenagentur dpa, was dann passierte. "Sie war auf einer Party, in der Wüste, im Niemandsland. Dort tanze sie mit einer Gruppe von Menschen. Meine Nichte war dort, als eine Gruppe der Hamas die Party stürmte", sagte Orly Louk: "Es wurde geschossen, die Partybesucher wurden gejagt. Die jungen Menschen rannten, versteckten sich, soweit ich weiß. In den Videos kann man sehen, was passiert ist."
Nach Angaben des Rettungsdienst Zaka wurden allein auf dem Festivalgelände 260 Menschen ermordet. Sanitäter berichteten von unvorstellbaren Szenen vor Ort, selbst der langjährige CNN-Korrespondent Nic Robertson wurde bei einem Bericht über die Folgen emotional.
Tausende Opfer
Insgesamt starben bei den Angriffen der Hamas etwa 900 israelische Soldaten und Zivilisten, Berichten zufolge wurden mehr als 2600 Israelis verletzt. Und auch in Deutschland leben Menschen, die Bekannte in Israel verloren haben. So wie Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Er ist selbst in einem Kibbuz in der Wüste in der Nähe zum Gazastreifen aufgewachsen, noch immer leben dort viele Jugendfreunde, so erzählt Mendel es im Gespräch mit tagesschau.de.
In seiner Jugend sei er oft im Kibbuz Beeri gewesen, wo nun mehr als 100 Tote geborgen wurden, sagt Mendel: "Einige Menschen, die dort ermordet wurden, kenne ich persönlich."
Meron Mendel lebt in Deutschland, ist Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Für ihn sei es jetzt nur schwer zu ertragen, soweit weg von Israel zu sein - während seine Freunde leiden, sagt er.
Zwölf Stunden im Bunker
Als Mendel am Samstag vom Angriff der Hamas hörte, versuchte er, einen Freund zu kontaktieren, der mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe der Grenze lebt. Er sei aber nicht erreichbar gewesen, erst später habe er sich zurückgemeldet. "Mein Freund und seine zwei Kinder saßen in ihrem Bunker in ihrem Zuhause, ohne Wasser, ohne Strom, ohne Handyempfang. Sie hörten Schüsse, kannten aber das Ausmaß des Angriffs nicht", sagt Mendel. Nach zwölf Stunden hätten die drei den Bunker verlassen können und seien nun in Sicherheit. Die Mutter sei zu dem Zeitpunkt des Angriffs zufällig in Deutschland gewesen. Andere Menschen in dem Kibbuz wurden von der Hamas getötet, berichtet Mendel, darunter Nachbarn der Familie, Freunde der Kinder.
Er stehe die ganze Zeit per WhatsApp mit Freunden und Familie in Israel in Kontakt, sagt Mendel. Bereits am Samstagabend sei sein Bruder in die Armee eingezogen worden. Er sei an der Grenze zu Gaza im Einsatz, seit Montagvormittag hätte die Familie aber nichts mehr von ihm gehört.
Für ihn sei es schwer zu ertragen, Tausende Kilometer entfernt in Deutschland in Sicherheit zu sein, während seine Freunde leiden, so Mendel. "Seit Samstag schlafe ich sporadisch ein oder zwei Stunden, dann schaue ich wieder in die Nachrichten, was es Neues gibt. Es ist sehr verstörend."
Im Gebüsch versteckt
Derweil gibt es immer öfter öffentliche Hilferufe von Angehörigen. Neben der Familie Louk hat sich eine weitere Familie einer offenbar in den Gazastreifen verschleppten Deutsch-Israelin mit einem emotionalen Appell an die Öffentlichkeit gewandt.
Yarden Romann sei während der Hamas-Attacke gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter von Terroristen in einen Wagen gezerrt und entführt worden. Das sagte Amit Avraham, der Partner ihrer Schwester, der Nachrichtenagentur dpa. Kurz vor der Grenze zum Gazastreifen sei es dem Paar gelungen, mit dem Kind aus dem Auto zu springen. Auf der Flucht seien sie getrennt worden. "Der Vater und die Tochter konnten sich 24 Stunden lang im Gebüsch verstecken", erzählte Avraham. Sie seien inzwischen in Sicherheit, von der Mutter fehle jedoch jede Spur. Sie sei offenbar wieder von den Terroristen aufgegriffen und in den Gazastreifen verschleppt worden. Auch ihre Schwiegermutter und ihre Schwägerin seien entführt worden.
Romann sei Enkelin aus Deutschland geflohener Juden, die aus dem bayerischen Fürth stammten. Die 36-jährige Frau habe sich zu Besuch bei ihren Schwiegereltern im Kibbutz Beeri im Grenzgebiet aufgehalten. "Die Familie Romann bittet um dringende Hilfe bei der Suche nach den Vermissten", heißt es in dem Appell, der auch über soziale Medien verbreitet wurde.
Es ist ein verzweifelter Appell von Tausenden.