Israels Militär meldet Erfolg Vier Hamas-Geiseln lebend aus Gazastreifen befreit
Es ist die größte Rettungsaktion im Gazastreifen seit dem 7. Oktober: Die israelische Armee hat die Befreiung von vier Hamas-Geiseln vermeldet. Die Operation habe in der Flüchtlingssiedlung Nuseirat stattgefunden.
Die israelische Armee hat nach eigener Aussage vier im Gazastreifen festgehaltene Geiseln befreit. Militärsprecher Daniel Hagari teilte mit, es habe sich um eine "komplexe Operation" in der Flüchtlingssiedlung Nuseirat gehandelt, wo die Entführten aus zwei Häusern in einem Wohnviertel befreit worden seien. Neben dem Militär seien auch Polizeikräfte und der Geheimdienst Shin Bet daran beteiligt gewesen.
Es handelt sich den Angaben nach um drei Männer und eine Frau, die am 7. Oktober 2023 vom Nova-Musikfestival von Hamas-Terroristen in den Gazastreifen verschleppt worden waren: die 25-jährige Noa Argamani, den 21-jährigen Almog Meir, den 27-jährigen Andrei Kozlov und den 40-jährigen Schlomi Ziv.
Zwei von ihnen arbeiteten laut Medienberichten während des Festivals im Sicherheitsbereich. Allen vier Befreiten soll es laut Hagari gesundheitlich den Umständen entsprechend gut gehen, sie wurden ins Tel Hashomer Krankenhaus in Ramat Gan gebracht.
Spezialoperation unter schwerem Beschuss
Der Militärsprecher spricht von der größten Rettungsoperation für Geiseln seit Ausbruch des Gaza-Kriegs. Hunderte israelische Soldaten seien an der Spezialoperation beteiligt gewesen, sagte Hagari im israelischen Fernsehen. Der Einsatz sei wochenlang geplant worden. Es habe schweren Beschuss gegeben, ein Polizist wurde demnach schwer verletzt.
Mediziner im Gazastreifen meldeten inzwischen mindestens 50 Tote und mindestens 24 Verletzte nach Angriffen der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Nuseirat sowie die Stadt Deir al-Balah. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von 210 Toten unter Berufung auf die Hamas-Verwaltung. Es ist bislang unklar, ob die Menschen bei den Einsätzen der Armee zur Rettung der Geiseln ums Leben kamen.
Die Versorgung der Verletzten gestaltet sich nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums schwierig. Das örtliche Krankenhaus verfügt demnach nur noch über einen einzigen Stromgenerator. Viele der Verletzten warteten vor dem Gebäude auf der Straße.
ARD-Korrespondentin Hanna Resch sagte in der tagesschau, dass sich die innen- und außenpolitische Bedeutung des Militäreinsatzes bislang noch nicht abschätzen lasse. Laut palästinensischen Quellen wurden bei der Operation erneut auch Frauen und Kinder getötet - allerdings sind diese Angaben derzeit nicht unabhängig bestätigt. "Es wird auf jeden Fall Einfluss nehmen auf die Verhandlungen", sagte Resch mit Blick auf die weiterhin andauernden Gespräche zu einer möglichen Waffenruhe.
Netanyahu: "Wir werden nicht lockerlassen"
Besonders das Schicksal der nun befreiten Noa Argamani hat Israel bewegt. Videoaufnahmen ihrer Entführung auf einem Motorrad gingen um die Welt. Ihre Mutter leidet an Krebs im Endstadium. Die Frau hatte immer wieder darum gebeten, ihre Tochter vor ihrem Tod noch einmal sehen zu dürfen.
Ein Video auf der Plattform X zeigt Noa Argamani mit ihrem Vater:
Argamani hat bereits mit dem israelischen Präsidenten Izchak Herzog und Premier Benjamin Netanyahu telefoniert. In einer von der Regierung veröffentlichten Audiobotschaft hört man, wie Netanyahu die befreite Frau fragt, wie es ihr geht, und sagt, er habe die Geiseln nicht aufgegeben. Sie sagt ihm, sie sei "sehr aufgeregt", sie habe schon so lange kein Hebräisch mehr gehört.
Netanyahu erklärte, dass weitere Einsätze zur Befreiung weiterer Geiseln folgen werden. "Wir sind entschlossen, dies auch in Zukunft zu tun. Wir werden nicht lockerlassen, bis wir die Mission abgeschlossen und alle Geiseln nach Hause gebracht haben - sowohl die Lebenden als auch die Toten."
Ein Sprecher der militant-islamistischen Hamas sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Befreiung der vier Geiseln nach neun Monaten sei ein "Zeichen des Scheiterns, kein Erfolg".
Ein Plakat zeigtdie nun befreite Noa Argamani.
Gallant: "Heldenhafte Operation"
Die Hamas hatte bei ihrem Terrorangriff auf den Süden Israels etwa 250 Geiseln verschleppt. Etwa die Hälfte von ihnen war während einer einwöchigen Feuerpause im November freigekommen. Nach israelischen Angaben verblieben damit noch mehr als 100 Geiseln in der Gewalt von Extremisten. Bei etwa einem Viertel von ihnen wird vermutet, dass sie bereits nicht mehr am Leben sind.
"Wir sind überglücklich, euch zu Hause zu haben", schrieb Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant auf der Plattform X. Er sprach von einer "heldenhaften Operation".
Auch das Forum der Geiselfamilien reagierte erleichtert und rief die israelische Regierung auf, sich für die Freilassung der verbliebenen Geiseln einzusetzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Befreiung der vier Israelis "ein wichtiges Zeichen der Hoffnung" für die Angehörigen der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. "Die Hamas muss endlich alle Geiseln freilassen", schrieb er auf X. "Der Krieg muss enden."
Gantz verschiebt Pressekonferenz
Israels Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, der derzeit als Minister ohne Ressort dem israelischen Kriegskabinett angehört, verschob nach der Nachricht über die Befreiung sein für den Abend angekündigtes Statement. Beobachter hatten die anberaumte Pressekonferenz als ein Zeichen für einen bevorstehenden Rücktritt gewertet. Einen neuen Termin für die Pressekonferenz nannte Gantz bislang nicht.
Gantz hatte bereits vor Wochen damit gedroht, das Kabinett zu verlassen, sollten Premierminister Benjamin Netanyahu und seine rechtsreligiöse Regierung bis zum heutigen 8. Juni keinen Nachkriegsplan für den Gazastreifen vorlegen.