Norden des Palästinensergebiets Israels Militär ruft zu Massenevakuierung in Gaza auf
Die israelische Armee hat die Bevölkerung des nördlichen Gazastreifens dazu aufgerufen, das Gebiet binnen 24 Stunden zu räumen. Nach UN-Angaben sind 1,1 Millionen Menschen betroffen. "Verheerende humanitäre Konsequenzen" drohten.
Israels Militär hat die Palästinenser im nördlichen Gazastreifen zur Evakuierung aufgefordert. "Das Militär ruft alle Zivilisten von Gaza auf, ihre Häuser zu ihrer eigenen Sicherheit und zu ihrem Schutz nach Süden zu verlassen", teilte die Armee mit.
"Die Terrororganisation Hamas führt einen Krieg gegen den Staat Israel, und Gaza ist ein Gebiet, in dem militärische Operationen stattfinden", begründete das Militär den Aufruf. "Sie werden erst dann nach Gaza zurückkehren können, wenn eine weitere Ankündigung erfolgt, die dies erlaubt", hieß es weiter. Niemand solle sich dem Bereich des Sicherheitszauns zum Staat Israel nähern. Vom Militär hieß es, Hamas-Terroristen versteckten sich in Gaza in Tunneln unter Häusern und in Gebäuden, in denen sich unschuldige Zivilisten aus dem Gazastreifen aufhalten.
Die militant-islamistische Hamas bezeichnete den Aufruf zur Evakuierung als "Propaganda". Zivilisten sollten darauf nicht reinfallen, teilte die im Gazastreifen herrschende Terrormiliz mit. Aus Sicherheitskreisen vor Ort hieß es, dass Bewohner am Verlassen des Nordens gehindert werden sollten, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete. Augenzeugen berichteten, mehrere Bewohner seien bereits von der Hamas gestoppt und zur Rückkehr in den Norden aufgefordert worden.
Christian Limpert, ARD Tel Aviv, zur Lage in Gaza kurz vor der möglichen israelischen Bodenoffensive
UN warnen vor humanitären Folgen
Zuvor hatten die Vereinten Nationen von einer Ankündigung zur Evakuierung gesprochen. Die Anordnung lasse sich "unmöglich" umsetzen, ohne "verheerende humanitäre Konsequenzen" nach sich zu ziehen, warnte UN-Sprecher Stéphane Dujarric. Seinen Angaben zufolge wären von einer Evakuierung etwa 1,1 Millionen Menschen betroffen.
Die Vereinten Nationen appellierten nachdrücklich, dass ein solcher Befehl zurückgenommen werden müsse, um zu verhindern, dass sich die ohnehin schon tragische Situation zu einer katastrophalen entwickle. Der Befehl des israelischen Militärs gilt demnach auch für alle UN-Mitarbeiter und diejenigen, die in UN-Einrichtungen wie Schulen, Gesundheitszentren und Kliniken untergebracht sind.
Gesundheitssystem vor Zusammenbruch
Beobachter gehen davon aus, dass eine Bodenoffensive Israels im Gazastreifen gegen die Hamas bevorstehen könnte. Am Donnerstag hatte das Militär erklärt, dass es sich auf eine solche Operation vorbereite. Doch sei noch keine Entscheidung getroffen worden. Im Vorfeld setzte die Armee ihr massives Bombardement des dicht besiedelten Gebietes fort.
Die Zivilbevölkerung in dem abgeriegelten Küstenstreifen steckt am siebten Tag nach dem Hamas-Großangriff in einer immer aussichtsloseren Lage. Das Gesundheitssystem stehe "am Rande des Zusammenbruchs", warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO). "Ohne Strom laufen Krankenhäuser Gefahr, zu Leichenhallen zu werden", schrieb auch Fabrizio Carboni, Regionaldirektor Nahost des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), auf der Plattform X.
Totenzahlen steigen weiter
Israels Armee beschoss bei ihren Gegenangriffen auf die Hamas erneut Wohnhäuser im Gazastreifen, die nach Militärangaben von der Terrororganisation genutzt wurden. Die betroffenen fünf Wohngebäude seien von der Hamas auch für terroristische Aktivitäten genutzt worden, teilte die Armee mit. Man greife jede Stellung der "Mörder" an, sagte Militärsprecher Daniel Hagari. Die Hamas habe bereits die Kontrolle über große Gebiete im Gazastreifen verloren.
Die Zahl der Toten in Israel ist auf mindestens 1.300 gestiegen. Das gab der Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte (IDF), Jonathan Conricus, bekannt. Die große Mehrheit der Todesopfer sind nach Militärangaben Zivilisten. Mehr als 3.000 weitere Menschen seien verletzt worden, sagte der Sprecher. Die Zahl der bei den israelischen Luftangriffen getöteten Palästinenser stieg auf mindestens 1.537. Mindestens 6.612 weitere Menschen wurden verletzt, wie das Gesundheitsministerium in Gaza am Donnerstagabend mitteilte.
Nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch setzte Israels Militär im Gazastreifen sowie im Libanon auch weißen Phosphor ein. Das zeigten verifizierte Videos und Zeugenaussagen. Der Einsatz in den dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens verstoße gegen das humanitäre Völkerrecht, beklagte die Menschenrechtsorganisation.
Baerbock reist nach Israel
Heute wird eine Reihe von Spitzenpolitikern aus dem Ausland in Israel erwartet, darunter Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Geplant sei ein Treffen Austins mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Verteidigungsminister Joav Galant und anderen Mitgliedern der Notstandsregierung, kündigte das US-Verteidigungsministerium an.
Austin wolle das "unerschütterliche Engagement" der USA für die Sicherheit Israels deutlich machen, hieß es. Mit der israelischen Führung wolle er über ihre Einsatzplanung und Ziele in dem Konflikt sprechen. Es gehe auch darum, den Bedarf an Militärhilfe zu erörtern. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Außenminister Antonio Tajani reisen zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel.