Nach Rücktritt von Gantz Netanyahu ist allein mit den Ultrarechten
Der Rücktritt von Minister Gantz aus dem Kriegskabinett verleiht den Ultrarechten Auftrieb. Sie pochen auf deutlich mehr Einfluss in der Regierung. Sollte Premier Netanyahu ihnen nachgeben, dürfte er international isolierter dastehen.
Geschrei im Finanzausschuss im israelischen Parlament: Es waren nicht einmal 24 Stunden vergangen, dass Benny Gantz und Gadi Eisenkot ihren Rücktritt aus dem israelischen Kriegskabinett bekanntgegeben hatten, da richteten die Angehörigen der Geiseln in Gaza ihre Forderungen an jene Ansprechpartner, die ihnen noch bleiben: an die Ultrarechten in der Regierung.
Finanzminister Bezalel Smotrich brach die Sitzung im Parlament nach lauten Wortgefechten ab. Die Angehörigen hatten gefragt, was ihm das Leben eines Entführten wert sei. Smotrichs Antwort: "Sagen wir, Hamas-Anführer Sinwar verlangt für eine Geisel, dass wir 20 Einwohner Israels, die um Gaza herum leben, töten." Das sei es doch, was Sinwar wolle.
"Dass wir Hunderte Mörder im Gegenzug freilassen, die Blut an ihren Händen haben. Um Gotteswillen, das könnte dazu führen, dass viele Juden ermordet werden. Wir müssen einen Preis zahlen." Er werde keinen kollektiven Selbstmord begehen, fügte der Minister hinzu.
Gvir meldet Ansprüche auf Posten an
Smotrich wolle die Geiseln im Stich lassen, schlussfolgerten die Familienangehörigen. Sie werfen den rechtsextremen Kräften in der Regierung vor, sie wären nicht am Ende des Krieges interessiert. Der Vorwurf ist nicht neu.
Seit dem Rückzug von Israels ehemaligem Verteidigungsminister Gantz, der als moderat gilt, wachsen aber die Sorgen, dass sich Ministerpräsident Benjamin Netanyahu im ultrarechten Regierungsspektrum isoliert und dem Druck der extremen Kräfte stärker nachgibt.
So meldete kurz nach Gantz Rücktritt Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, bereits Anspruch auf einen der freigewordenen Plätze im Kriegskabinett an: "Ich werde fordern, dass unsere Stimme zum Ausdruck kommt. Nicht so, wie es bisher gewesen ist. Hätte man schon früher auf mich gehört, hätte der 7. Oktober wahrscheinlich ganz anders ausgesehen."
Ein weiteres Symbol des Scheiterns?
Immer wieder hatten die rechtsextremen Minister wie Gvir gefordert, Gaza zu besiedeln, um eine Rückkehr der Hamas zu verhindern. Diese extremen Forderungen verschrecken Israels Verbündete. Am Montag landete US-Außenminister Antony Blinken in Israel, um eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln weiter voranzubringen.
Gleichzeitig meldeten die israelischen Medien, die Regierung von US-Präsident Joe Biden erwäge, Verhandlungen allein mit der Hamas ohne Israel zu führen. Es wäre ein weiteres Symbol des Scheiterns der Netanyahu-Regierung, sagt Noam Tivon, ehemaliger Kommandant der israelischen Streitkräfte im Norden.
Am 7. Oktober kämpfte er rund um den Gazastreifen gegen die Terroristen. "Das Lenkrad des Staates befindet sich jetzt in weniger sicheren Händen", urteilt Tivon. Israel stecke in einer sehr schlechten strategischen Situation. "Im Süden haben wir unsere Ziele nicht erreicht. Wir haben weder die Geiseln zurückgeholt, noch haben wir die Hamas besiegt und auch der Norden Israels ist abgebrannt und verlassen."
Gantz drängt auf Neuwahlen
Netanyahu braucht dringend Erfolgsmeldungen. Die Rettung von vier Geiseln am Wochenende kostete der Premier aus, ließ sich mit ihnen Arm in Arm fotografieren. Doch mit dem Rücktritt von Gantz aus dem Kriegskabinett ist die Zukunft seiner Regierung unsicherer geworden. Unterdessen forderte Gantz Netanyahu auf, Neuwahlen anzukündigen, um das Volk zu einen.
Weil das aber nicht erwartet wird, erhöhte Gantz den Druck noch einmal. Er wendete sich an Verteidigungsminister Yoav Gallant persönlich und forderte ihn ebenfalls zum Rücktritt auf.
"Yoav, wir kennen uns seit so vielen Jahren. Du bist ein mutiger und entschlossener Führer und in erster Linie ein Patriot", appellierte er an Gallant. "In dieser Zeit bestehen Mut und Führungskraft nicht nur darin, das Richtige zu sagen, sondern auch darin, das Richtige zu tun."
Ob der Austritt der Oppositionspolitiker aus der Einheitsregierung tatsächlich zu Neuwahlen führt, bleibt allerdings weiter unklar.