Studierende im Iran Universitäten zwischen Systemdruck und Widerstand
Fast die Hälfte aller jungen Iraner ist an einer Universität eingeschrieben. Nicht erst seit den Protesten ist der ideologische Druck des Regimes dort hoch - und doch kommen die lautesten Proteststimmen von Studierenden.
"Trotz Einschränkungen und Repressionen ist die Stimme des Protests an den Universitäten weiterhin klar zu hören", sagt Hamed aus dem Iran, der seinen richtigen Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht sehen will. Knapp zwei Jahre ist der Beginn der Proteste her, bei denen Menschen im ganzen Land gegen den vermutlich gewaltsamen Tod der Studentin Jina Mahsa Amini demonstrierten. Sie war wegen angeblich "unislamischer Kleidung" von der Sittenpolizei festgenommen worden. Wenige Tage später starb Amini, nach Überzeugung von Oppositionellen im Iran infolge von Gewalt durch die Sittenpolizei.
Auch wenn die Proteste nicht zu einem Systemwechsel führten - geändert hat sich doch etwas, erzählt Medizinstudentin Mania. "An vielen Universitäten sieht man, dass Frauen ohne Kopftuch im akademischen Umfeld erscheinen, was eine große Veränderung darstellt", sagt sie. "Dies zeigt, dass selbst wenn es keine revolutionäre Atmosphäre mehr gibt, der Widerstand und der Geist der Proteste noch immer vorhanden sind."
"Bis dann das System kippte"
Getragen wurde der Widerstand 2022 unter anderem von den Studierenden. Typisch für die iranische Gesellschaft, in der Bildung schon immer einen hohen Stellenwert eingenommen hat. Bei den Protesten 1979, die zum Sturz der Schah-Monarchie führten, waren die Studierenden sogar noch wichtiger, weiß der Iran-Forscher Reinhard Schulze von der Universität Bern: "Sie konnten sich auch an die Spitze der Bewegung 1979 stellen und waren dann auch in der Nachfolgezeit bis 1980 noch relevant. Bis dann das System kippte und dann eine vollkommen Staatskontrolle über die Universitäten übernahm."
Zwar wurden in den 1990er-Jahren, also unter dem noch heute herrschenden Regime, etliche neue Hochschulen gegründet und heute studieren im Iran mehr junge Menschen denn je: Von den 18- bis 25-Jährigen ist beinahe jeder zweite eingeschrieben. Doch freies Denken und Handeln ist nicht vorgesehen, denn die Universitäten seien ein Netzwerk, "das dazu dient, große Teile der Bevölkerung für das System zu mobilisieren", sagt Schulze. "Und Bildung war eben eine nationalistische Bildung, ausgerichtet auf das System, auf den Staat Iran selbst."
Der Geist der Veränderung
Und so ist der Druck auf die Studierenden heute hoch. Bei den Protesten 2022 gab es auch auf dem Gelände von Universitäten Kundgebungen. Regimetreue Milizen umstellten die Studierenden und nahmen unzählige fest. Das habe die Dynamik gebrochen, erzählt der Soziologiestudent Amin:
"Der Verlust des Studienplatzes durch Suspendierungen, die oft zu indirekten Entlassungen führten, und die Einschränkungen der universitären Dienstleistungen waren schwerwiegende Belastungen für die Studierenden und führten letztlich zu einem gewissen Rückgang dieses Engagements."
Der Konflikt zwischen Gesellschaft und islamischer Führung wird im Moment nicht mehr auf großen Protestkundgebungen ausgetragen, sondern findet eher im Alltäglichen, im Kleinen statt.
Doch der Geist der Veränderung schlummert trotz aller Repressionen noch in den Universitäten: "Die Proteste der Universitäten, nicht nur bei den jüngsten Protesten, sondern auch bei denen der letzten Jahrzehnte, haben stets diese Täuschung der Islamischen Republik offenbart", drückt es Hamed aus. "Ich denke, das ist eine der grundlegendsten Rollen, die die Universität im Streben nach Freiheit für die Iraner gespielt hat."