Kopftuchpflicht im Iran Die totale Überwachung
Um ihre Vorstellung von einer islamischen Kleiderordnung für Frauen durchzusetzen, setzt das Regime im Iran zunehmend auch auf Kameras im öffentlichen Raum. Das facht die Wut in der Bevölkerung erneut an.
In der iranischen Hauptstadt Teheran hängen Kameras an allen öffentlichen Plätzen, selbst in Cafés, Kinos oder Buchhandlungen. Sie gehören nicht den Betreibern, sondern dem Staat. "Big Brother is watching you" - das soll den Menschen vermittelt werden.
Nun sollen diese Kameras gezielt dafür genutzt werden, Frauen zu identifizieren, die sich nicht so kleiden, wie die islamische Führung des Landes es für richtig hält.
Eine unmissverständliche Drohung
"Mit moderner Technologie werden wir sie alle ausfindig machen", kündigte der Polizeichef an. "Eine Frau wird erst verwarnt, dann wird sich die Justiz mit ihr befassen."
Im Mittelpunkt steht das Kopftuch. Viele iranische Frauen empfinden es als Symbol der Unterdrückung einer Hälfte der Gesellschaft. "Weil wir dort eben nicht die freie Wahl haben", erzählt eine junge Iranerin. Sie lebt mittlerweile im Ausland, weil sie sich nicht an die Regeln der Islamischen Republik hielt und so ins Visier der Behörden geriet.
"Gnadenlose Verfolgung"
Als im September vergangenen Jahres nach dem Tod von Jina Mahsa Amini landesweite Proteste ausbrachen, wurden Kopftücher plötzlich öffentlich verbrannt. Immer mehr Frauen verzichteten auch in der Öffentlichkeit auf sie. Und das, obwohl sich die meisten sicher waren: Das Regime werde nicht lange tatenlos zusehen.
Damit sollten sie Recht behalten: Das Regime kündigte im Frühjahr "gnadenlose Verfolgung" an, so die Formulierung des iranischen Justizchefs. Statt einer prügelnden Sittenpolizei gibt es nun eben Kameras.
Gesetze und Wirklichkeit
Anwältin Shima Ghousheh ist eine der wenigen Frauen, die Interviews gibt. Frauenrechte sind ihr Schwerpunkt, ein Minenfeld im Iran. Aber die Juristin ist versiert und einiges gewohnt. Frauen auf Grund von Videoaufnahmen vor Gericht zu stellen, sagt sie, sei selbst nach iranischem Recht gar nicht zulässig.
"Bei Körperverletzung, Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt müssen Frauen Zeugen vor Gericht vorweisen, sie können sich nicht auf Beweise wie Videos berufen. Aber wenn eine Frau das Kopftuch nicht trägt, soll das plötzlich mit dem Videobeweis gehen."
Mit Kameras überwachen die Behörden schon jetzt, wer ohne Hijab im Auto sitzt. Dieses System wird nun ausgebaut.
Autoverkehr wird seit Jahren überwacht
Umgesetzt wird die "islamische Überwachung 2.0" bereits seit Jahren im Verkehr: Fährt eine Frau ohne Kopftuch Auto, wird ihr Nummernschild erfasst und sie muss für mehrere Wochen ihr Auto abgeben.
Nun will die Justiz noch einen Schritt weitergehen und Taxifahrer bestrafen, die Frauen ohne Kopftuch mitnehmen. Und auch Cafés und Geschäfte sollen geschlossen werden, die nicht auf die Einhaltung der islamischen Kleiderordnung achten.
Mehr als 150 Läden sollen in den vergangenen Tagen bereits geschlossen worden sein, weil sie Frauen ohne Kopftuch weiterhin bedient hätten.
Einschüchterung stößt an Grenzen
Im Netz verbreiten sich zudem Videos wie dieses: Mehrere Mullahs eilen durch eine Einkaufspassage, diskutieren mit Ladenbesitzern und streiten sich mit weiblichen Kundinnen - alles mit dem Ziel, die Freiheiten von Frauen im öffentlichen Leben weiter einzuschränken.
Doch viele schrecke das nicht ab, glaubt Anwältin Shima Ghousheh. "Viele Frauen im Iran sind nicht mehr bereit, diese Einschränkung zu akzeptieren und sich ihnen zu beugen oder sich schweigend zu verhalten - und das zu tun, was andere wollen."
Joghurtattacken erinnern an Säureangriffe
Der Justizchef des Landes, der von gnadenloser Verfolgung sprach, forderte damals Anhänger auch auf, Frauen, die sich nicht an die Kleiderordnung halten, zur Rede zu stellen.
Kurz darauf tauchten im Netz verschiedene Videos auf. Eines zeigte den Angriff eines Mannes auf zwei Frauen in einem Kiosk, eine davon ohne Kopftuch. Er beschimpfte sie zunächst und schüttete ihnen anschließend Joghurt über die Köpfe.
Auch wenn die beiden Frauen nicht ernsthaft verletzt wurden, kommen bei vielen Iranerinnen dunkle Erinnerungen und Ängste hoch. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Säureangriffe, mutmaßlich von selbsternannten Sittenwächtern.
2014 wurden dadurch in Isfahan mehrere Frauen schwer verletzt. Eine Parallele auch zu der derzeitigen Vergiftungswelle an iranischen Mädchenschulen. Seit Monaten häufen sich die Fälle. Landesweite sollen offiziell bereits mehr als 13.000 Mädchen mit teils schweren Gasvergiftungen behandelt worden sein.
Kein Schutz in Schulen
"Die Vergiftungen scheinen eine koordinierte Kampagne zu sein, um Schülerinnen für ihre friedliche Teilnahme an landesweiten Protesten zu bestrafen", schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einer aktuellen Mitteilung.
Eltern werfen den Behörden Versagen vor. Ein Vater teilte in den sozialen Medien ein Video seiner verletzten Tochter, die am Beatmungsgerät hängt, und klagte den Staat an: "Statt Kameras für Kopftücher einzusetzen, solltet ihr besser Kameras in den Schulen platzieren."
Die gibt es eigentlich - und gerade deshalb glauben im Iran nicht wenige, dass die Täter aus den Reihen des Staates selbst kommen.
Kampf um ein Stück Freiheit
Der öffentliche Raum als Gefahr für Frauen und Mädchen: Viele Iranerinnen wollen sich damit nicht abfinden und kämpfen nun erst recht um ihr Stück Freiheit. Auf Teherans Straßen waren auch in diesen Tagen wieder viele Frauen ohne Kopftuch zu sehen, trotz aller Risiken.
Eine Frau, Ende zwanzig, die selbst ein locker gebundenes, schwarzes Kopftuch trägt, sagt: "Jeder Mensch muss freiwillig entscheiden, ob man es tragen will oder eben nicht. Zwang führt immer zum Gegenteil."