Internationaler Frauentag Nach Schach ohne Schleier im Exil
Ihr Bild ging um die Welt: Die iranische Schachspielerin Khademalsharieh nahm aus Protest ohne Kopftuch an einem Turnier teil. Als sie sich nicht entschuldigte, drohte Haft. Nun ist sie im Exil - und weiß nicht, ob sie je zurück kann. Von K. Böker.
Ihr Bild ging um die Welt: Die iranische Schachspielerin Khademalsharieh nahm aus Protest ohne Kopftuch an einem Turnier teil. Als sie sich nicht entschuldigte, drohte Haft. Nun ist sie im Exil - und weiß nicht, ob sie je zurück kann.
Es sieht aus wie ein Familienidyll, wenn Sarasadat Khademalsharieh - oder kurz Sara Khadem - mit ihrem Mann und dem knapp ein Jahr alten Baby Sam am Strand entlang spaziert. Doch das Idyll ist aus der Not geboren. Die junge Familie hatte nie vor, ihre Heimat komplett zu verlassen. Aber dorthin zurück können sie nicht, denn gegen Khadem liegt im Iran ein Haftbefehl vor.
Der 26. Dezember 2022 ist der Tag, der das Leben von Khadem komplett verändern wird. Seit Jahren ist sie eine erfolgreiche junge Schachspielerin. Schon mit acht Jahren nahm sie an Turnieren teil, es folgten internationale Wettkämpfe, Weltmeister-Jugendtitel. Khadem wurde Großmeisterin und stieg auf unter die Top-20 der Welt im klassischen Schach. Dann kommt die Blitz-Schach-WM in Kasachstan. Sie startet wie eh und je für den Iran - allerdings, anders als bisher: ohne Schleier.
"Das ist der richtige Zeitpunkt"
"Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, ohne Schleier zu spielen, auch schon vor den jüngsten Ereignissen im Iran. Als ich zu diesem Turnier eingeladen wurde, dachte ich mir, das ist der richtige Zeitpunkt", sagt Khadem im Interview an ihrem Wohnort, der geheim bleiben soll.
Noch während des Turniers erhält Khadem einen Anruf der iranischen Behörden. Sie fordern, dass sie per Video ihr Handeln bedauert oder bekundet, dass sie unter Druck stand.
Khadem wollte sich nicht entschuldigen müssen
Anderen iranischen Sportlerinnen ist Ähnliches passiert. Auch ihre Auftritte ohne Schleier wurden als Solidarisierung mit der iranischen Protestbewegung angesehen. Die Skaterin Niloufahr Mardani wurde daraufhin angezeigt, die Kletterin Elnaz Rekabi entschuldigte sich später für ihren Auftritt ohne Schleier. Aber Khadem will sich nicht entschuldigen müssen. Sie spielt das Turnier zu Ende.
Später erfährt sie, dass ihr Haft droht. Sie steht weiter zu ihrem Entschluss und erklärt warum: "Wenn Du vor der Kamera bist, dann repräsentierst Du das Land. Deshalb haben wir alle bei offiziellen Auftritten immer Schleier getragen, um die Regeln zu befolgen, aber ohne daran zu glauben. So war es auch für mich. Aber es fühlt sich nicht gut an, ohne Kamera jemand zu sein und vor der Kamera vorzugeben, jemand anderes zu sein."
Sorge vor Druck auf Familienmitglieder
Nach diesem Schritt gibt es kein Zurück. Es folgt ein Neustart in Spanien mit Mann und Baby. Ihr Ehemann weiß, was Haft im Iran heißt. Er hat 2014 drei Monate in einem iranischen Gefängnis verbracht. Was ihm vorgeworfen wurde, ist nicht bekannt.
Und so baut sich die junge Familie in Spanien ein neues Leben auf - an einem geheimen Ort, an dem sie hoffen, dass Klein-Sam eine unbeschwerte Kindheit verbringen kann. Doch die Trennung von der Familie schmerzt. Khadem hofft, dass diese nicht unter Druck gesetzt wird. Der Haftbefehl gelte schließlich ihr, nicht ihrer Familie.
Nicht das erste politische Statement
Khadems Entscheidung, ohne Hidschab anzutreten, war nicht ihr erstes politisches Statement. Mit der spanischen Zeitung "El País" sprach sie im Januar darüber: 2019 unterstützte sie in einem Video den iranischen Schachspieler Alireza Firouzja, der ins französische Team gewechselt war, um so dem iranischen Regelwerk zu entkommen, das ihn zwang, jedes Mal bereits im Vorfeld aufzugeben, wenn er gegen einen israelischen Spieler gelost wurde.
Wenig später, im Jahr 2020, erklärte Khadem ihren Rücktritt aus dem iranischen Nationalteam, nachdem der Iran ein ukrainisches Passagierflugzeug abgeschossen hatte. 176 Menschen starben. "Das gesamte Land war untröstlich, mich eingeschlossen. Ich habe beschlossen, das Nationalteam zu verlassen und hörte für eine Weile auf, Schach zu spielen", erinnert sich Khadem gegenüber "El País".
Sarasadat Khademalsharieh will bald wieder Schachturniere spielen - ohne Schleier.
Bald wieder Turniere spielen - ohne Schleier
Und was wird jetzt aus ihrer Schachkarriere? Kürzlich hat sie der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez zu einer Partie eingeladen. Ihr Beispiel trage zu einer besseren Welt bei, twitterte Sánchez anschließend. Khadem selbst sagt, die Demonstrierenden im Iran riskierten weit mehr als sie. Im Schach will sie bald wieder Turniere spielen - ohne Schleier. Sie will in die Top-Ten aufrücken, unter Iranischer Flagge.
Ob sie aber jemals dorthin zurückkehren kann? Auch wenn Sara Khadem und ihr Mann sich in Spanien mittlerweile zumindest heimisch fühlen, möchte sie irgendwann wieder mit ihrer iranischen Familie zusammen sein. "Ich bin das einzige Kind", sagt sie. Deshalb sei sie traurig über die Trennung. "Aber ich hoffe, sie bald wieder zu sehen und eines Tages auch zurückzukehren."