Flüchtlinge aus dem Libanon in Syrien (Aarchivbild)

Flucht aus dem Süden Libanons Hauptsache weg

Stand: 15.10.2024 05:32 Uhr

Seit dem Start der israelischen Bodenoffensive ist der Süden des Libanons ein Kriegsgebiet. Große Teile der Bevölkerung sind geflüchtet - oft in Orte, wo sie sich auch nicht sicher fühlen.

Es begann mit einem Anruf, erzählt Saliha Boukharub, die mit der Familie ihres Bruders in die Stadt Sidon geflohen ist: "Da war jemand dran, der sagte: 'evakuieren, evakuieren' - der Ton klang so komisch. Es war nicht klar, wer das war."

Bombenangriffe hatten sie schon vorher gehört, meist aus der Ferne, in Burj al-Shemaly, einem palästinensischen Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Tyrus. Aber jetzt kamen die Einschläge immer näher. Direkt nach dem Anruf wurde ein Nachbarhaus getroffen, erzählt die 52-Jährige: "Wir wussten nicht, wie wir aus dem Haus kamen. Wir haben geschrien und geweint. Und dann liefen wir durch die Straßen. Das war wirklich schlimm."

Boukharoub ist mit ihrem Bruder und dessen Kindern nach Sidon geflohen. Insgesamt zu acht sind sie bei Verwandten untergekommen. Die Kinder spielen in dem mit Matratzen vollgestopften Raum, während die Erwachsenen erzählen.

Aufruf zur Evakuierung in letzter Minute

Täglich übermittelt die israelische Armee seit zwei Wochen ihre Botschaften in arabischer Sprache an die Bevölkerung im Süden des Libanons: "Zu Ihrer eigenen Sicherheit müssen Sie Ihre Häuser sofort räumen und nördlich des Awali-Flusses umziehen - unverzüglich", heißt es darin. Fahrten in den Süden seien verboten.

Der Awali mündet nördlich von Sidon ins Mittelmeer - gut 60 Kilometer von der Grenze im Süden entfernt. Die Einwohnerinnen und Einwohner von mehr als 100 Dörfern sind bislang auf diese Art gewarnt worden, auch Städte wie Nabatiyeh, wo etwa 100.000 Menschen gelebt haben.

Oft folgten Luftangriffe weniger als eine halbe Stunde nach den Aufrufen. Zu wenig Zeit, sagt Daniellah Khalil von der Hilfsorganisation Amel: "Einige unserer Mitarbeiter sind unter Beschuss geflohen."

Für die überkonfessionelle Organisation arbeiten etwa 1.500 Mitarbeitende und Freiwillige. Im Süden hat sie kleine Gesundheitszentren betrieben. Dort lagern noch immer Medikamente und Hilfsgüter. "Es gibt ein paar von unseren Mitarbeitern, die wollten die wenigen Menschen, die noch im Süden sind, nicht im Stich lassen. Die verteilen jetzt dort die Güter."

Zahl der Betroffenen unbekannt

Wie viele Menschen derzeit noch in den Städten und Dörfern im Süden des Libanons ausharren, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Die israelische Armee und die Terrormiliz Hisbollah melden heftige Kämpfe in Grenznähe. Die Blauhelme der UN-Mission UNIFIL berichteten zuletzt mehrfach davon, dass auch ihre Stellungen von der israelischen Armee beschossen wurden.

Von mehr als einer Million Vertriebenen im Libanon sprechen die Vereinten Nationen inzwischen. Zu ihnen zählt auch Ahmed Dandal. Er verließ den Süden, als der Beschuss immer stärker wurde. Vor allem hatte er Angst um seine Kinder, erzählt er: "Ich habe mich über meinen Sohn gebeugt, um ihn vor Granatsplittern zu schützen."

Aus und nach Syrien geflohen

Zunächst floh er mit seiner Familie ins Chouf-Gebirge, südöstlich von Beirut. Doch auch dort fühlte er sich nicht mehr sicher. Also zog er weiter nach Syrien, in den Nordwesten nach Idlib, seine ursprüngliche Heimat. Vor 13 Jahren ist er aus Syrien geflohen - wegen des Krieges, um seinen Kindern im Libanon eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Auch die 33 Jahre alte Narges macht sich vor allem Sorgen um die Zukunft ihrer fünf Kinder. Aus der Nähe von Tyros sind sie zunächst nach Beirut geflohen, hatten dort aber keine dauerhafte Bleibe - bis ein Onkel ihnen anbot, bei sich in Sidon zu wohnen. "Eigentlich ist jetzt Schul- und Universitätszeit. Meine Töchter haben davon geträumt, ihren Uni-Abschluss zu machen", erzählt sie. "Es tut weh, zu sehen, wie ihre Träume zerschellen."

Schulen und Universitäten in weiten Teilen des Landes haben wegen des Krieges ihren Betrieb eingestellt. In vielen staatlichen Schulen sind jetzt notdürftig Flüchtlinge untergebracht.