Christen in Nahost Keine Heimat mehr
Erst Syrien und Irak - und inzwischen auch der Libanon: Der Exodus der orientalischen Christen hält an. In ihrer Ursprungsregion sind sie mittlerweile zu einer kleinen Minderheit geworden.
Seit Jahrzehnten nehmen Anzahl und Bedeutung der Christen im Nahen Osten kontinuierlich ab. Waren sie vor rund 100 Jahren mit rund 20 Prozent der Bevölkerung ein deutlich wahrnehmbarer Teil der orientalischen Gesellschaft, sind sie inzwischen vielerorts nur noch eine kleine Randgruppe.
"Vor zehn Jahren hätte ich noch gesagt, es sind um die zehn Prozent", erläutert Matthias Vogt vom Deutschen Verein für das Heilige Land in Köln, "jetzt liegen wir deutlich unter fünf Prozent, wenn nicht bei drei Prozent".
Die Ausnahmen sind der Libanon mit noch 25 Prozent und Ägypten mit sechs Prozent. Alle anderen Länder, sagt der Islamwissenschaftler, dürften deutlich im niedrigen einstelligen Bereich liegen.
Im August feierten diese libanesischen Christen Mariä Himmelfahrt - doch ihre Zahl im Land wird immer kleiner.
Exodus auch aus dem Libanon
Besonders bedrückend ist dabei, dass nach dem großen Exodus aus Syrien und dem Irak im vergangenen Jahrzehnt die Christen nun auch den Libanon verlassen. "In den vergangenen Jahren ist der Libanon - der sichere Hafen der Christen - an den Rand des Zusammenbruchs gekommen und bietet eben diese Sicherheit nicht mehr", sagt Vogt.
Er sieht darin ein "ganz schlechtes Zeichen" für die Christen in der ganzen Region. Immerhin betrug ihr Anteil im Zedernstaat vor fünf Jahren noch gut ein Drittel der Bevölkerung.
Kaum noch Christen in Syrien
Aus Syrien, wo ihr Anteil vor Beginn des Bürgerkrieges 2011 noch bei rund zehn Prozent lag, sind mittlerweile die meisten Christen ausgewandert. Das bestätigt Claudia Rammelt von der Uni Bochum.
Man spreche inzwischen nicht mehr von Syrisch-Orthodoxen, Griechisch-Orthodoxen, Armeniern, Assyrern oder Maroniten, sondern nur noch von den Christen in einer jeweiligen Stadt. Denn sie seien "eine so kleine Minderheit geworden, dass konfessionelle Grenzen keine Rolle mehr spielen", erklärt die evangelische Theologin. "Das zeigt natürlich, wo man steht als Christen."
Unter der Terrorherrschaft des "Islamischen Staats" konnten die Christen im Nordirak ihren Glauben nicht leben. Heute sind viele Kirchen wiedererrichtet. Doch die Lage in der Region insgesamt bleibt heikel.
Im Irak regiert weiter die Angst
Ähnlich sieht es im Irak aus. Bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 gab es dort noch etwa 1,2 Millionen Christen. Heute leben im Zweistromland nicht einmal mehr 300.000.
In der Mitte und im Süden Iraks, wo es früher durchaus stattliche Gemeinden gab, sind kaum noch Christen anzutreffen. Hauptsiedlungsgebiet ist inzwischen der kurdische Norden.
"Dann gibt es Streitigkeiten zwischen der kurdischen Regierung und der zentralirakischen Regierung um Gebiete", berichtet Claudia Rammelt. "Und genau aus diesen Gebieten fliehen natürlich weiter Christen, weil sie Angst haben, vor dem, was kommt."
Exodus auch aus dem Heiligen Land
Auch in Israel und Palästina, dem Heiligen Land der Christen, stellt sich ihre Situation nicht viel besser dar. Immer mehr einheimische Gläubige sehen für sich dort keine Perspektive mehr und wandern aus.
Zwar entstehen nach Angaben von Matthias Vogt mittlerweile in Israel kleine Migrantengemeinden durch christliche Gastarbeiter aus den Philippinen und anderen asiatischen Ländern.
Doch die Gesamtzahl ist verschwindend gering: Die palästinensischen Gebiete und Israel verzeichnen noch jeweils knapp zwei Prozent einheimische Christen. Hinzu kommen in Israel zusätzlich zwei Prozent Migrantengemeinden.
Zunehmende Angriffe auf Christen
Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos III., spricht davon, dass verbale wie physische Angriffe auf Christen deutlich zugenommen haben. Ihr Ziel sei die Vertreibung der Christen aus Jerusalem und anderen Teilen des Heiligen Landes.
So sollen 2021 rund 50 Hassverbrechen gegen Christen registriert worden sein, darunter Brandstiftung und tätliche Angriffe auf Geistliche. Dass sich Christen immer wieder Benachteiligungen und Übergriffen ausgesetzt sehen, wird auch aus anderen Regionen des Nahen Ostens berichtet.
"Die Gesamtzahl wird weiter abnehmen"
Angesichts dieser schwierigen Umstände richtet Claudia Rammelt ihren Blick darauf, wie den Christen im Nahen Osten angemessen unter die Arme gegriffen werden könne. Momentan gibt es ihrer Meinung nach noch genügend Unterstützung. "Doch unter diesen Bedingungen wird das Geld regelrecht verschlungen", ergänzt sie. "Und das Missverhältnis zwischen Bedarf und dem, was man geben kann, wird wahrscheinlich immer größer werden."
Nach Ansicht von Matthias Vogt wird sich vor allem die Sozialstruktur der Christen im Nahen Osten wandeln. Die einheimischen und ursprünglichen Gläubigen würden eine immer schwächere Rolle einnehmen, während kleine Migrantengemeinden wüchsen. Generell aber gelte: "Die Gesamtzahl wird weiter abnehmen."