Interview

Internetaktivist Appelbaum zur Spähaffäre "Entscheidet euch dafür, frei zu sein"

Stand: 07.09.2013 02:49 Uhr

Die Überwachung durch die Geheimdienste müsse mit starken politischen Konzepten und modernster Technologie bekämpft werden, sagt Internetaktivist Jacob Appelbaum im Interview mit der ARD. Doch auch jeder einzelne Bürger könne zu diesem Kampf beitragen.

ARD-Studio Brüssel: Gibt es noch Möglichkeiten, nicht überwacht zu werden?

Jacob Appelbaum: Solche Möglichkeiten gibt es durchaus. Wenn ich jetzt in meine Tasche greife und Ihnen einen USB-Stick gebe, dann kann die NSA wohl nicht erfassen, was da drauf ist.

ARD-Studio Brüssel: Kann man die Geheimdienste und ihre offenbar massenhafte Überwachung überhaupt wieder zurückdrängen?

Appelbaum: Es liegt an uns. Zuallererst: Entzieht ihnen das Geld. Das ist die ökonomische Frage. Die Regierungen der Welt geben hohe Milliardenbeträge für diese Aktivitäten aus. Man kann es das Manhattan-Projekt unserer Zeit nennen, diese Art von Systemen zur Überwachung und Zielerschließung.

Wenn das so ist, dann sollten wir die Lehren ziehen aus dem letzten Manhattan-Projekt, das Atomwaffen geschaffen hat. Vielleicht wollen wir diesen Weg nicht noch einmal gehen. Im Vergleich zu den Atomwaffen ist die Mathematik für alle zugänglich. Und vielleicht können wir Forschung in Europa oder anderswo bezahlen, um an dezentral verteilten, freien Software-Lösungen zu arbeiten, die starke Verschlüsselung nutzen.

Zur Person
Jacob Appelbaum ist ein US-amerikanischer Internetaktivist, Journalist und Experte für Computersicherheit. Er unterstützt Wikileaks und führte ein Interview mit dem Spähaffären-Enthüller Snowden. Vor einem Sonderausschuss des EU-Parlaments sagte Appelbaum zur massenhaften Datenauswertung durch Geheimdienste aus.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde am Donnerstagabend geführt. Appelbaum sieht aber auch nach den jüngsten Enthüllungen noch Möglichkeiten für funktionierende Verschlüsselung. Man brauche freie und offene Software. Nicht jede Verschlüsselung sei gleich, nicht alle Firmen vertrauenswürdig.

ARD-Studio Brüssel: Jetzt nimmt das Europäische Parlament eine Untersuchung vor. Welche Erwartungen haben Sie daran?

Appelbaum: Ich hoffe, dass erst einmal die grundlegenden Fakten festgestellt werden, die grundlegende Wahrheit. Und dann hoffe ich auf konkrete Gegenmaßnahmen. Zum Beispiel folgenden Anspruch: Wenn ein Anwalt am Telefon Vertraulichkeit haben will und kein verschlüsseltes Telefon benutzt, dann sollte das als fahrlässig gelten. Für Ärzte gilt das selbe.

Ich glaube, wir brauchen starke politische Konzepte, aber das allein sorgt nicht für Privatsphäre. Wir brauchen Privatsphäre, die von Anfang an gegeben ist und dann eine Politik, die das stärkt und unterstützt - denn grundlegende Ideale einer liberalen Demokratie bleiben unter massiver Überwachung nicht erhalten. Wir brauchen Technologie, um diese Technologie zu bekämpfen. Aber wir werden die Welt nicht mit Technologie allein verändern. Wir müssen die fundamentalen individuellen Rechte aufrecht erhalten, damit Technologie sinnvoll sein kann und nicht nur zur Unterdrückung existiert.

ARD-Studio Brüssel: Welche Rat haben Sie für Bürger?

Appelbaum: Eines ist, über Risiko und Wahlmöglichkeiten nachzudenken. Da gibt es zum Beispiel dieses egoistische Argument: Ich habe nichts zu verbergen. Es mag ja sein, dass ich nicht krank oder blind bin. Aber trotzdem will ich in einer Welt mit Krankenhäusern leben und in Straßen, die auch für Blinde zugänglich sind.

Und genauso möchte ich in einer Welt leben, in der jeder seine Privatsphäre hat und dadurch Unbescholtenheit, Vertraulichkeit und Würde im Alltag - ohne jemanden danach fragen zu müssen, ohne einen Herren danach zu bitten. Es könnte nämlich passieren, dass er dir das nicht zugesteht. Dann stellst du fest, dass du nicht frei bist.

ARD-Studio Brüssel: Was können wir tun?

Appelbaum: Zunächst mal können sich Menschen bewusst dafür entscheiden, frei zu sein. Und das können sie tun, indem sie starke Verschlüsselung verwenden, wenn sie Telefone benutzen. Indem sie Journalisten erzählen, was ihnen widerfahren ist.  Indem sie Organisationen das Geld entziehen, die fundamental das Grundgesetz verletzen, die das G10-Gesetz zur Privatsphäre uminterpretieren oder die an kriminellen Handlungen mitwirken. So wurden zum Beispiel Zivilisten mit Drohnen ins Visier genommen mit Hilfe von Überwachungsdaten.

Wenn es das gibt, sollten Menschen dafür rechtlich belangt werden. Regierungen sollten darüber stürzen. Und es ist jeder einzelne von uns, der jeden Tag die Wahl hat.

Das Interview ist eine gekürzte Version des Gespräches, das ARD-Korrespondent Christian Feld (Twitter: @ChrFeld) mit Jacob Appelbaum in Brüssel geführt hat. Die vollständige Version sehen Sie im englischen Original im Video in der Textmitte.

Das Interview führte Christian Feld, ARD Berlin