Amnesty kritisiert Folter Ausgerechnet Tunesien
Vor sechs Jahren vertrieben die Tunesier Diktator Ben Ali, Revolten in anderen Ländern folgten. Doch im Musterland des Arabischen Frühlings ist die Freiheit in Gefahr: Seit 2015 gilt der Ausnahmezustand. Laut Amnesty gibt es willkürliche Verhaftungen und Folter.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den Sicherheitskräften in Tunesien eine Rückkehr zu "brutalen Methoden der Vergangenheit" im Anti-Terror-Kampf vorgeworfen. Tunesien setze mit dem im Zuge des geltenden Ausnahmezustands zunehmend gewaltsamen Vorgehen seiner Sicherheitskräfte die Errungenschaften des Arabischen Frühlings von 2011 aufs Spiel, heißt es in einem Amnesty-Bericht mit dem Titel "Menschenrechtsverletzungen unter dem Ausnahmezustand".
"Die Behörden haben zweifellos die Pflicht, auf Sicherheitsrisiken zu reagieren und die Bevölkerung vor tödlichen Anschlägen zu schützen", sagte die Nordafrika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, Heba Morayef. Der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertige aber keine Foltermethoden.
Amnesty beklagt in dem Bericht Folter, willkürliche Verhaftungen, die zum Teil mitten in der Nacht und ohne Haftbefehl erfolgten, Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Verdächtigen und Repressionen gegen Angehörige. Die Sicherheitskräfte griffen bei der Terrorbekämpfung in "beunruhigendem Maß" wieder auf "repressive Methoden gegen Verdächtige" zurück. Das Folterverbot dürfe unter keinen Umständen außer Kraft gesetzt werden, schreibt Amnesty mit Blick auf den Ausnahmezustand.
Amnesty listet in dem Bericht insbesondere 23 Fälle von Folter und Misshandlungen seit Januar 2015 auf, darunter eine mutmaßliche Vergewaltigung. Tausende Menschen seien festgenommen, gegen mindestens 5000 weitere Reiseverbote verhängt worden.
Seit November 2015 im Ausnahmezustand
Die tunesischen Behörden hatten den Ausnahmezustand nach dem Anschlag auf einen Bus der Präsidentenwache im November 2015 in der Hauptstadt Tunis mit zwölf getöteten Gardisten verhängt. Er war Mitte Januar um einen weiteren Monat verlängert worden und gibt den Sicherheitskräfte weitreichende Befugnisse.
Seit der Revolution in Tunesien im Frühling 2011 gab es in dem nordafrikanischen Land eine Reihe islamistischer Anschläge. Im März 2015 wurden bei einem Angriff auf das Bardo-Nationalmuseum in Tunis 21 ausländische Touristen getötet. Drei Monate später töteten bewaffnete Angreifer am Strand von Sousse 38 Menschen. Zu dem Angriff bekannte sich die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS).
Tunesien - ein sicherer Herkunftsstaat?
Trotz der Anschläge wurden Forderungen in Deutschland lauter, Tunesien als sicheren Herkunftsstaat einzustufen, um Abschiebungen abgelehnter Absylbewerber dorthin zu erleichtern.
Der Bundestag billigte bereits im Mai 2016 ein Gesetz, das Tunesien neben Algerien und Marokko als sicheres Herkunftsland einstuft. Doch das Gesetz scheiterte bislang am Widerstand im Bundesrat. Besonders die Grünen kritisieren den Entwurf scharf.
Zuletzt wurden die Forderungen nach schnelleren Rückführungen nach Tunesien wegen des Attentats auf dem Berliner Weihnachtsmarkt allerdings wieder lauter. Obwohl der Asylantrag des Attentäters Anis Amis abgelehnt worden war, konnte er nicht in seine Heimat abgeschoben werden.
Merkel trifft tunesischen Ministerpräsidenten
Kanzlerin Angela Merkel kündigte an, dass sie am Dienstag bei ihrem Treffen mit dem tunesischen Ministerpräsidenten Youssef Chahed "die Frage der Rückführungen" ansprechen will. Die Kanzlerin fordert, dass dabei "schneller gearbeitet wird, insbesondere wenn es um Gefährder geht".
Merkel sicherte Chahed zugleich weitere deutsche Unterstützung beim wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu. Dabei gehe es besonders um die Schaffung von Arbeitsplätzen, um "die große Herausforderung der Jugendarbeitslosigkeit zu bewältigen", sagte Merkel in ihrem wöchentlichen Podcast.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner forderte, die Rolle der tunesischen Sicherheitskräfte kritisch zu hinterfragen. An diesen sei "die ansonsten erfreuliche Demokratie-Entwicklung der vergangenen Jahre spurlos vorbeigegangen", sagte sie.