Jobs in der Eisdiele und auf dem Feld Kinderarbeit in den USA auf dem Vormarsch
Viele Minderjährige in den USA gehen arbeiten, die Regeln dafür wurden zuletzt in mehreren Bundesstaaten gelockert. Ein Grund: Für manche Jobs gibt es kaum erwachsene Bewerber. Verbraucherschützer fürchten um den Arbeitsschutz.
"Unsere Kinder stehen nicht zum Verkauf", rufen Dutzende Demonstranten im Parlamentsgebäude von Iowa. Sie protestieren gegen ein neues Gesetz zur Kinderarbeit. Der US-Bundesstaat liegt im mittleren Westen, hat gerade einmal rund drei Millionen Einwohner und ein großes Problem: zu wenige neue Arbeitskräfte.
Die konservative Regierung des Bundesstaats setzt deshalb darauf, dass Minderjährige einige Lücken füllen und hat die Regeln gelockert. "Wir haben Jugendliche, die bis 22 Uhr unterwegs sind und Sport machen. Wenn sie arbeiten wollten, durften sie das aber nur vier Stunden pro Tag", sagt der republikanische Abgeordnete Dave Deyoe. "Das hat einfach keinen Sinn ergeben, dass wir für Sport und Arbeit verschiedene Regeln hatten."
Seit Juli dürfen zum Beispiel 14- und 15-jährige nach der Schule noch bis 21 Uhr arbeiten, während der Ferien sogar bis 23 Uhr. Für 16- und 17-jährige gelten bei der Arbeitszeit dieselben Regeln wie für Erwachsene. Vor allem die Servicebranche freut sich darüber.
Die 56-jährige Stephani Jimmerson sagt, für Stellen in ihrer Eisdiele gebe es kaum noch erwachsene Bewerber.
"Habe einen ganzen Stapel an Bewerbern"
Stephani Jimmerson kratzt gerade Reste angetauten Eises aus der Kühltruhe in ihrer Theke. Der 56-Jährigen gehört eine Eisdiele in der kleinen Stadt Waukee. Bei ihr arbeiten bis zu 35 Angestellte und Aushilfen, fast alle sind minderjährig. Anders würde es inzwischen auch gar nicht mehr funktionieren, meint sie. Erwachsene Bewerber für Servicejobs gebe es kaum noch.
Sie fragt sich, wo all die Leute, die früher in der Branche gearbeitet hätten, seit der Pandemie hin seien. "Die Kids machen einen guten Job", sagt Jimmerson. "Ich erwarte viel von ihnen und falls sie nicht mehr wollen, habe ich einen ganzen Stapel von anderen Bewerbern, die ich ablehnen musste. Dann finde ich halt jemand neuen."
In der Eisdiele von Stephani Jimmerson arbeiten bis zu 35 Angestellte und Aushilfen, fast alle sind minderjährig.
Auch Jobs auf Baustellen sind jetzt möglich
Trotzdem ist für die dreifache Mutter klar: Schule und Freizeit sollten für die Kinder an erster Stelle stehen. Umgerechnet rund 11,30 Euro pro Stunde verdienen die meisten hier, deutlich über dem Mindestlohn. Noch mehr bezahlen, um mehr erwachsene Bewerber anzulocken, das könne sie sich als kleiner Betrieb nicht leisten, sagt Jimmerson.
Die neuen Regeln gelten nicht nur für klassische Nebenjobs als Schüler, sondern auch in anderen Branchen. Jugendliche dürfen in Iowa jetzt auch in gefährlicheren Jobs, zum Beispiel auf Baustellen, arbeiten. Das sei ein Problem, meint Charlie Wishman, Chef des Gewerkschaftsverbands: "Leider trifft es vor allem arme Familien, Migranten und Flüchtlinge deutlich mehr als alle anderen." Das sei besonders in jenen Bundesstaaten mit viel Landwirtschaft wie Iowa der Fall. "Hier arbeiten viele Migrantenkinder aus dem Süden."
Der Chef des Gewerkschaftsverbands, Charlie Wishman, sieht vor allem Kinder aus armen Familien und Flüchtlinge betroffen.
Mia fühlt sich im Stich gelassen
Auch im Bundesstaat Colorado gibt es viel Landwirtschaft. Die Kleinstadt Center ist umringt von Kartoffel- und Salatfeldern. Die meisten, die hier bei der Ernte arbeiten, sind Migranten aus Mittel- und Südamerika, darunter auch viele Minderjährige wie die 17-jährige Mia. Vergangenes Jahr hatte sie bei der Arbeit einen schlimmen Unfall. Ein Traktorfahrer übersah das Mädchen und überrollte es. Durch ihre schweren Verletzungen konnte Mia monatelang kaum laufen.
Von dem Betrieb, für den sie gearbeitet hatte, fühlt sich Mia im Stich gelassen. "Sie haben den Unfall gar nicht gemeldet. Es wurde einfach weitergearbeitet, nachdem ich in die Notaufnahme gebracht wurde." Die Firma hätte zwar die Arztkosten übernommen, aber sie wollten den Vorfall ansonsten unter den Teppich kehren. "Das war sehr frustrierend."
Mia sagt, dass die Firma ihr keine Entschädigung zahlen wollte. Die Regierung solle mehr tun, um junge Arbeiter vor Unfällen und Ausbeutung zu schützen. Sie glaubt, dass viele sich über das Thema gar keine Gedanken machen. "Vor allem, wenn es um Menschen wie uns aus kleineren Orten geht. Niemand kennt uns. Wenn es niemanden betrifft, den man kennt, denken die meisten, das sei nicht ihr Problem."
Verdacht fällt auf reiche Einzelpersonen
In der Hauptstadt Washington beobachtet die nationale Verbraucherschutzorganisation NCL die wachsende Kinderarbeit im Land mit Sorge. Sie vermutet, dass es neben dem Mangel an Arbeitskräften noch einen anderen Grund gibt, warum immer mehr Bundesstaaten ihre Regeln lockern.
"Es gibt die Befürchtung, dass das Ganze Teil eines Plans ist, um den Arbeitsschutz generell zu untergraben", sagt Reid Maki, Abteilungsleiter für Fragen zur Kinderarbeit. Dahinter würden reiche Einzelpersonen und Gruppen stecken, die Gewerkschaften nicht leiden könnten und keine höheren Gehälter zahlen wollten.
US-Medien berichten, dass dahinter besonders ein konservativer Thinktank aus Florida stecken soll, der sich bei Politikern im ganzen Land für gelockerte Regeln bei der Kinderarbeit einsetzt. Sechs der 50 Bundesstaaten haben das bereits getan. Andere könnten folgen.
Forderung nach mehr Kontrolleuren
Auf Bundesebene stellt sich die Regierung des Demokraten Joe Biden gegen solche Versuche. Die Verbraucherschützer der NCL blicken jetzt mit Spannung auf das kommende Jahr, wenn in den USA gewählt wird.
"Als Donald Trump Präsident war, versuchte er, einige Regeln abzuschaffen, zum Beispiel das Verbot, dass Kinder keine Pestizide auf Feldern versprühen dürfen", erklärt Maki. Allerdings habe es dafür keinen Rückhalt gegeben, woraufhin die damalige Regierung diesen Testballon fallen ließ. "Aber sollte Trump nochmal gewählt werden und die Republikaner bei der Parlamentswahl gut abschneiden, dann könnte er so etwas wieder versuchen", sagt der Verbraucherschützer.
Doch auch die aktuelle Regierung könnte noch mehr tun, findet Maki. Zum Beispiel mehr Kontrolleure für Verstöße einstellen. Denn aktuell gibt es laut NCL nur einen Kontrolleur pro 200.000 Arbeitnehmern.