Rikers Island Gefangen in New Yorks "Horrorhaus"
Die Gefängnisinsel Rikers Island steht seit Jahren in der Kritik: Die Bedingungen sind katastrophal - für Gefangene wie Wärter. Seit Januar starben elf Insassen. Doch die Schließung liegt in weiter Ferne.
Einen schlechten Ruf hatte der riesige Gefängniskomplex auf einer Insel im East River schon immer. Doch was sich derzeit auf Rikers Island abspielt ist blankes Chaos, berichtet eine hörbar entsetzte Delegation von Lokalpolitikern nach einem Besuch dort. Überall in den Gängen habe es Dreck gegeben, Ratten, Kakerlaken, Fäkalien sowie aufgebrochene Zellentüren: "Es ist ein Horrorhaus, Rikers Island ist nicht sicher."
Fünf Suizide in diesem Jahr
Häftlinge seien zusammengeschlagen worden, müssten in kaputten Toiletten schlafen und in Plastiktüten urinieren. Völlig übermüdete Aufseher schöben Doppel- und Dreifachschichten. "Gerade hat jemand versucht, sich mit einem Bettlaken zu erhängen", erzählt ein Mitglied der Delegation. "'Guckt her', hat er noch gerufen. Wir haben direkt daneben gestanden."
Fünf Menschen haben sich in diesem Jahr auf Rikers Island bereits umgebracht. Insgesamt starben elf Insassen. Das bislang jüngste Opfer: Ein Rollstuhlfahrer, der zehn Tage lang ohne medizinische Versorgung in einer Aufnahmezelle saß, sich mit Corona infizierte und daran starb.
Wärter melden sich reihenweise krank
Kristy Hauke überrascht das nicht. Sie war Sozialarbeiterin auf einer Krankenstation auf Rikers Island, bis sie im Sommer kündigte. "Immer wieder kamen neue Busladungen von Häftlingen", erzählt sie. "Wir konnten das nicht bewältigen. Diese Menschen haben nie die Behandlung bekommen, die sie gebraucht hätten. Und irgendwann war ich an dem Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich kann hier meinen Job nicht mehr machen."
Auch viele Gefängniswärter bleiben inzwischen zu Hause. Zeitweise hat sich ein Drittel dauerhaft krank gemeldet - bei vollen Bezügen. Die Corona-Pandemie habe die Situation noch verschlimmert, sagt Hauke. "Es war ein komplettes Chaos, ein völliger Irrsinn. Es gab die ganze Zeit Schlägereien - Gefangene mit Wärtern, Gefangene untereinander. Pfefferspray wurde versprüht, obwohl das gar nicht erlaubt ist auf der Krankenstation - ein einziger Wahnsinn."
Seit Jahren wird gegen die Zustände im Gefängniskomplex protestiert.
"Unmenschliche Bedingungen"
Ein Wahnsinn, in dem in vielen Gefängnistrakten längst Häftlingsgangs das Kommando übernommen hätten. Die Gefängnisaufseher, die überhaupt noch zur Arbeit kommen, arbeiten am Limit. 2000 neue Beamte müssten eingestellt werden, um die Situation wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen, sagt Gewerkschaftschef Benny Boscio: "Meine Kollegen arbeiten zum Teil 25 Stunden und mehr am Stück - ohne Essenspause. Da muss man sich nicht wundern, dass sie sich krank melden. Das sind unmenschliche Bedingungen für die Angestellten und für die Gefangenen."
Vier neue Gefängnisse werden gebaut
Schon seit Jahren wird über eine Schließung des verrotteten Mega-Knasts diskutiert. Doch es wird bis mindestens 2026 dauern, bis die vier neuen Gefängnisse gebaut sind, die die derzeit 6000 Rikers-Insassen aufnehmen sollen.
Viel zu spät, sagt Sozialarbeiterin Hauke. "Das ist alles ein bürokratischer Alptraum." Es müsse endlich etwas passieren, meint sie, doch in der ganzen Diskussion sei "einfach zu viel Ego. Und dafür haben wir keine Zeit. Menschen sterben. Und doch wird immer nur weiter diskutiert, was jetzt wichtiger ist. Am wichtigsten ist: Hier geht hier um Menschenleben. Und die sind in Gefahr".