Ex-Gefangene in Nicaragua Widerstand gegen die Diktatur - auch in Haft
606 Tage verbrachte die Oppositions-Aktivistin Tamara Dávila in Haft, dann verwies Nicaraguas Diktator Ortega sie und 221 andere des Landes. Ein Buch dokumentiert ihr Schicksal - und wie sie stark blieb, obwohl sie alles verlor.
Am 9. Februar startete ein Flugzeug von der Hauptstadt Nicaraguas Managua Richtung Washington. An Bord waren 222 Passagiere, abgemagert und erschöpft. Politische Gefangene, die das autoritäre Regime um Daniel Ortega gefangen genommen und plötzlich ohne Ankündigung aus der Haft entlassen hatte. Einige von ihnen hatten sogar bis zu zwei Jahre im berüchtigten Gefängnis El Chipote verbracht.
Ortega verwies sie des Landes, nahm ihnen die Staatsbürgerschaft.
Eine von ihnen war Tamara Dávila. "Sie haben mir alles genommen. Aber sie konnten mir nicht meinen Körper nehmen, auch wenn sie mich natürlich hätten töten können. Aber dieser eine Quadratmeter im Gefängnis - das war ich, mein Körper, mein Geist, mein innerer Rückzugsort", beschreibt sie die Haft. "Diesen Raum habe ich mir genommen. Und hier lebte ich meinen Widerstand gegen die Diktatur, in dem ich dafür sorgte, dass es mir gut geht, dass ich stark bleibe. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht gelitten hätte. Jeden Tag habe ich geweint. Jeden Tag habe ich aber auch weitergekämpft."
606 Tage verbrachte Dávila in einer Zelle, in absoluter Isolation. Sie durfte nicht lesen, sie bekam kein Blatt Papier und keinen Stift, um zu schreiben, keinen Hofgang - Dinge, die selbst Schwerstverbrechern eingeräumt werden. Tamaras Dávilas Geschichte, der Horror, den sie erlebt hat, ist Teil des Buches "Libertad tras las rejas" - "Freiheit hinter Gittern", das Ende November erschien.
Frauen psychisch gefoltert
Insgesamt elf Frauen schildern darin ihre Geschichten, ihren Widerstand gegen das Ortega-Regime, was ihnen in der politischen Gefangenschaft widerfahren ist. Gerade die Frauen mit Kindern seien psychisch gefoltert worden, berichtet Dávila: Es seien Lügen über die Familie erzählt worden. Ihnen seien Vorwürfe gemacht worden, dass sie ihre Kinder wissentlich im Stich gelassen hätten. Sie selbst hat eine kleine Tochter. Erst nach drei Monaten wurde der Besuch von Familienangehörigen, der ihrer Tochter erst nach mehr als einem Jahr gestattet.
Genau wie so viele andere war Dávila mit den Studenten 2018 auf die Straße gegangen, nahm an den sozialen Protesten teil, die brutal niedergeschlagen wurden, bei denen laut Menschenrechtsorganisationen rund 350 Menschen ums Leben kamen.
Acht Monate vor ihrer Verhaftung stand bereits ihr Haus unter Überwachung. Sie war sichtbar, sie rebellierte. Dem autoritären Regime von Daniel Ortega und Rosario Murillo war sie ein Dorn im Auge - denn als Feministin, Aktivistin und Teil der Opposition "Unidad Azul y Blanco" nahm sie eine führende Rolle ein.
Angst vor dem Vergessenwerden
Der Journalist Wilfredo Mirando Aburto ist einer der Herausgeber des Buches. Er kennt viele der politischen Gefangenen, hat auch über Dávilas Widerstand immer wieder geschrieben. Er selbst sah sich gezwungen, wegen seiner Arbeit und Kritik am Regime das Land zu verlassen. Mittlerweile lebt er im Nachbarland Costa Rica.
Das Ziel des Buches sei es, ein historisches Gedächtnis zu schaffen - "gerade in einem Moment, wo es so viele Krisen weltweit gibt, in Gaza, in der Ukraine. Da ist die Gefahr groß, dass Nicaragua gerade bei der internationalen Gemeinschaft in Vergessenheit gerät oder sich diese Situation normalisiert." Ein Buch schaffe Bewusstsein, denn es würden noch weiterhin diese Grausamkeiten begangen. Bis heute gebe es nach wie vor 95 politische Gefangene.
Derzeit gibt es nur eine Online-Version des Buches, ein Verlag muss noch gefunden werden. Alle Frauen wurden von namhaften Journalisten und Autorinnen interviewt - darunter auch die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli und der Autor Sergio Ramírez, auch sie leben im Exil in Madrid.
"Wir machen weiter"
Jede Geschichte hat einen eigenen Stil, ein anderes Format, einen anderen Tonfall. Jede einzelne Geschichte der Frauen demonstriere eine andere Facette der Geschichte Nicaraguas, sagt der Journalist. Zu Wort kommt auch die ehemalige Guerrilla-Kämpferin Dora Maria Téllez, die einst an der Seite Ortegas gegen die Somoza-Diktatur gekämpft hat. Aus den damaligen Verbündeten wurden erbitterte Gegner.
Seitdem Dávila wieder in Freiheit ist, fühlt sie sich noch mehr verpflichtet, ihren Kampf fortzusetzen. Ihre Tochter ist mittlerweile bei ihr, zusammen mit ihrer Mutter ist sie illegal über die Grenze nach Costa Rica geflüchtet. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter das gleiche erleben muss wie sie: alle 40 Jahre eine neue Diktatur, sagt Dávila: "Mehr denn je werde ich mich für Menschenrechte einsetzen. Wir machen weiter, um internationalen Druck aufzubauen, damit Ortega einen demokratischen Wandel einleiten muss."