Steigende Kriminalität New York im Abwehrmodus
Die Zahl der Gewaltdelikte in New York steigt, viele fühlen sich nicht mehr sicher. Selbstverteidigungskurse erfreuen sich daher zunehmender Beliebtheit.
Ihr Gegner hat nichts zu lachen. Anna Muehlenhaupts Boxhiebe treffen ihn an Kopf und Brust. Ein Kick zwischen die Beine setzt die mannsgroße Puppe außer Gefecht. "Ich kann jemanden zusammenschlagen und weglaufen. Das Wichtigste ist erstmal, achtsam zu sein - aber dann jemanden daran zu hindern, dass er dir folgen kann. Und dann haust du so schnell wie möglich ab."
Um all das zu lernen, hat sich Muehlenhaupt in einem Studio in Hell’s Kitchen - einem Viertel von Manhattan - angemeldet. Und ist eingetaucht in den Straßenkampf. Krav Maga, die Selbstverteidigungstechnik ihrer Wahl, kommt aus Israel. Damit werden die Menschen dort in wenigen Monaten fit gemacht für die Armee. Muehlenhaupt bilanziert:
Ich erlebe, wie immer mehr Leute das machen, je höher die Kriminalität hier steigt. Seit der Pandemie ist sie sichtbarer geworden. Viele Leute arbeiten weiter im Homeoffice - und zwischen denen, die rausgehen und denen, die ihnen was tun wollen, ist die Pufferzone kleiner geworden.
"Ich kann jemanden zusammenschlagen und weglaufen", sagt Anna Muehlenhaupt.
U-Bahn-Stationen als besonderes Problem
Schießereien, Raubüberfälle, Gewalt in der U-Bahn: Seit der Pandemie steigt die Kriminalität in New York. Bis Ende März gab es laut Polizeistatistik rund 37 Prozent mehr Fälle als noch ein Jahr zuvor. 16 Prozent mehr Morde, 60 Prozent mehr Fälle schweren Diebstahls. Doch vor allem im Kopf wächst die Bedrohung: Drei von vier Einwohnern fühlen sich nach Umfragen unsicher in der Metropole.
Ein besonderes Problem sind die U-Bahnen: Fast täglich gibt es Nachrichten von Gewalt, von Messer- oder Stoßattacken dort. Ein junger Mann schubste etwa eine 52-Jährige unvermittelt in einen Schacht. Und eine 19-Jährige betrat gerade mit einer Freundin eine U-Bahn-Station auf der Lower East Side, als ein Mann sie von hinten in den Schwitzkasten nahm.
Sie berichtet: "Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich dachte, einer meiner Freunde macht einen Scherz. Ich rief: Wer ist das? Und plötzlich dreht sich die Freundin vor mir um, sieht, was passiert und schreit. Da lässt er mich los, sticht mir in den Rücken und läuft weg."
Fitnessstudio-Chef mahnt: Handy weg, Augen auf
Immer mehr New Yorker fürchten, dass sie das nächste Gewaltopfer werden, sagt Matan Gavish - Chef des Fitness-Studios "Fit Hit": "Ich glaube, der Grund dafür ist, dass wir mehr aggressives Verhalten in Gegenden sehen, in denen wir das früher nicht getan haben. Am Tage - um ein, zwei, drei Uhr nachmittags, wo Leute das normalerweise nicht erleben."
Selbstverteidigungskurse boomen in der ganzen Stadt. Ob in Nachbarschaftsgruppen mitten im Central Park oder in Kursen wie dem von Gavish. 90 Prozent seiner Teilnehmenden seien Frauen, sagt er.
Das Gesicht der Stadt hat sich verändert. Viele haben sie verlassen. Du siehst immer mehr Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit, psychische Probleme - das alles kreiert eine neue Form von Gewalt in der Stadt.
Lange Zeit war er Chef-Trainer in der Krav-Maga-Academy und seit 2018 CEO von "Fit Hit": Matan Gavish
Bürgermeister Eric Adams hat das Problem zur Priorität gemacht. Der Ex-Polizist hat viel versprochen, getan hat sich noch wenig. Die New Yorker müssten eben selbst auf der Hut sein und auch ihre Gewohnheiten überdenken, sagt Gavish aus dem Fitnessstudio. Seinen Kundinnen rät er als Regel Nummer eins: "Telefon runter, Augen auf, hebt den Blick dafür, was um Euch herum passiert."
Auch Krav-Maga-Schülerin Muelenhaupt beherzigt das. "Wo ist der beste Platz in der U-Bahn? Scanne den Waggon, beobachte in der Fenster-Spiegelung, was um dich herum passiert, hab alles im Blick. Das mache ich überall, wo ich hingehe." Früher hätten sie ihre Freundinnen dafür für verrückt erklärt. Heute wollten sie ihre Adresse für den Selbstverteidigungskurs.