Ungewollte Schwangerschaft Eine "Abortería" hilft US-Amerikanerinnen
In vielen US-Bundesstaaten drohen harte Strafen auf den Abbruch einer Schwangerschaft. Um Hilfe zu bekommen, reisen Betroffene nach Mexiko: Dort helfen Aktivistinnen bei Abtreibungen und teilen ihr Wissen über den Kampf um Frauenrechte.
Um Frauen zu helfen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, brauchen Sandra Cardona und Vanessa Jiménez nicht viel: Internet, Empathie und ein Medikament sind ihre ständigen Begleiter. In der Industriestadt Monterrey im Norden Mexikos betreiben sie eine "Abortería". Keine Klinik, in der sie medizinische Eingriffe vornehmen. Eher eine Beratungsstelle und einen Schutzraum für Frauen, die vor Ort das Medikament einnehmen und abtreiben wollen.
Für Cardona ist das ein Menschenrecht: "Wir sind keine Bürgerinnen zweiter Klasse. Ich glaube, wenn Männer schwanger werden könnten, wäre Abtreibung schon längst der erste Grundrechtsartikel in jeder Verfassung auf der Welt. Definitiv."
Seit fünf Jahren arbeiten Cardona und Jiménez ehrenamtlich neben ihren Berufen als Designerin und Anwältin in der "Abortería". Tausenden Frauen haben sie so schon bei einem Schwangerschaftsabbruch geholfen. Doch bisher fast nur Mexikanerinnen. Erst seitdem der Supreme Court in den USA das Grundrecht auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt hat, bitten plötzlich auch US-Amerikanerinnen um Hilfe - bis zu 100 Frauen wöchentlich, vorher waren es etwa eine bis zwei Frauen, sagt Cardona. Auf den Ansturm waren sie anfangs nicht gefasst:
Das ist wirklich verrückt. Sie waren sich vorher so sicher, dass sie das verfassungsgemäße Recht auf eine Abtreibung haben, und nun haben sie Angst und wissen nicht, was sie machen sollen.
Doppelte Kehrtwende der Gesetzgebung
Während Mexikanerinnen inzwischen offen an ihre Tür klopften und sagten: "Hallo, ich will abtreiben", riefen die US-Amerikanerinnen verschämt an, anonym, sprächen nur von "einem Problem". Das Stigma ist so groß, dass keine der Betroffenen für die ARD vor dem Mikrofon sprechen möchte.
Die Entwicklung ist eine doppelte Kehrtwende, die vor einigen Jahren wohl niemand vorausgesagt hätte: Das erzkonservative Mexiko wird liberal, die liberalen Vereinigten Staaten werden konservativ.
Dass Frauen in Mexiko so viel selbstbewusster über Schwangerschaftsabbrüche sprechen - für Cardona ist es das Ergebnis jahrzehntelanger aktivistischer Vernetzung: "Schon seit vielen Jahren kämpfen Aktivistinnen dafür, dass wir so frei arbeiten können. Dieses Wissen über den gut vernetzten Aktivismus wollen wir nun an die Frauen in den USA weitergeben und sie in diesem Kampf bestärken."
"Bilde dein eigenes Netzwerk"
Die Vernetzung von Frauenrechtsaktivistinnen in Lateinamerika und Mexiko ist historisch gewachsen. Jahrzehnte mussten Mexikanerinnen unter rigiden, frauenverachtenden Gesetzen leiden. Femizide - Morde an Frauen - sind noch immer an der Tagesordnung. Nur in ihren Netzwerken konnten die Frauen sich behaupten, sie haben auch dazu beigetragen, dass das Abtreibungsverbot nun verfassungswidrig ist.
In den USA sind solche Netzwerke nur schwach ausgebildet, sie kommen kaum gegen gut vernetzte rechtskonservative Ideologen an. Doch das soll sich nun ändern: "Wir bringen uns überall in Stellung, um mehr Kollektive und Netzwerke zu bilden", sagt Cardona. "Viele US-Amerikanerinnen sagen, sie wollen Teil unseres Netzes sein. Wir sagen ihnen nein! Bilde dein eigenes Netzwerk, mit deinen Freundinnen, das ist besser. Dafür bieten wir Workshops an."
Und sie planen mit vielen weiteren mexikanischen Aktivistinnen, Stück für Stück an der Grenze zu den USA weitere "Aborterías" zu öffnen, in denen die Frauen bis zum dritten Monat mit dem Medikament legal abtreiben können.