Rassismusvorwürfe in Louisiana Krebskrank am Öl-Delta
In der "Cancer Alley" am Mississippi reihen sich über 130 Kilometer Chemiefabrik an Raffinerie. An kaum einem Ort der USA sind die Krebsraten so hoch wie hier - vor allem bei Schwarzen.
Es ist nicht nur Trauer, die Robert Taylor am Grab seiner Mutter empfindet. Langsam läuft er über den Friedhof. Immer wieder bleibt er stehen, deutet auf die Grabsteine. Hier liegen die Toten seiner Gemeinde - viele gestorben an Krebs. Wie seine Mutter, erzählt er.
Wenn er über den Krebs spricht, wird er wütend. Dann wird seine leise Stimme plötzlich laut. "Wir werden hier einfach geopfert", sagt er. Verantwortlich für die vielen Krebskranken und -toten macht Taylor die Industrie.
Grundschule in Fabrik-Nähe
Von drei Seiten umschließen Fabriken den Friedhof bis auf wenige Meter. Für die Toten hier könne er nichts mehr tun, sagt Taylor. Aber die Gräber sind nicht der einzige Ort in direkter Nachbarschaft zur Industrie. Die Grundschule seiner Gemeinde ist nicht einmal eineinhalb Kilometer von einer Chemiefabrik entfernt.
Hier wird Chloropren produziert, das für die Herstellung von Neopren, zum Beispiel für Taucheranzüge, benötigt wird. Schon vor einigen Jahren hatte die staatliche US-Umweltschutzbehörde Chloropren als höchstwahrscheinlich krebserregend eingestuft. Besonders Kinder seien gefährdet.
Anfang dieses Jahres hat sie Klage eingereicht gegen den Betreiber der Chemiefabrik. Der Chloropren-Ausstoß stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Der Betreiber widerspricht. Man halte sich an geltende Gesetze und Regelungen.
Besonders setzt sich Robert Taylor dafür ein, dass diese Schule in seiner Gemeinde geschlossen wird. Die Kinder seien zu hohen Konzentrationen von Giftstoffen aus der Industrie ausgesetzt.
130 Kilometer lange "Cancer Alley"
Etwas mehr als 130 Kilometer erstreckt sich die so genannte "Cancer Alley" entlang des Mississippis. An diesem Teil des Flussufers im US-Bundesstaat Louisiana reihen sich Chemiefabriken an Raffinerien.
Die Industrie bringe Arbeitsplätze und Steuereinnahmen - so sehen es die einen. Aber: Nach staatlichen Angaben ist in kaum einem anderen Bundesstaat die Luft so schlecht wie in Louisiana - und die Krebsrate so hoch. Ein Preis, den an der "Cancer Alley" nicht mehr alle zahlen wollen.
Schwarze Wohngegenden besonders betroffen
Es sind vor allem die Kinder, für die der Aktivist Taylor mit seiner Initiative kämpft. Dass viele Fabriken ausgerechnet in seiner Gemeinde stehen, ist für ihn kein Zufall. Über 50 Prozent der Einwohner hier sind schwarz. "Wir sind die leichtesten Opfer", erklärt er. "Das ist unverhohlener Rassismus."
Kimberly Terrell hat sich wissenschaftlich mit diesem Vorwurf beschäftigt. Sie forscht an der Tulane Universität in New Orleans, gut eine Stunde Fahrtzeit von Taylors Gemeinde entfernt. Sie hat in allen Gemeinden Louisianas untersucht, in welchem Zusammenhang die Krebsraten mit der Luftverschmutzung stehen und welche Rolle zum Beispiel Armut oder Hautfarbe spielen.
Im Vergleich ungewöhnlich hohe Krebsraten haben in den Gebieten mit hoher Luftverschmutzung demnach vor allem "People of Color", also nicht weiße Menschen, und einkommensschwache Bevölkerungsgruppen.
Natürlich seien nicht ausschließlich Schwarze von der Luftverschmutzung betroffen. Allerdings habe die Studie gezeigt: Je näher Menschen an den Industrieanlagen wohnten, desto höher das Gesundheitsrisiko. Besonders stark habe sich die Industrie in direkter Nachbarschaft zu vorwiegend von Schwarzen bewohnten Gegenden angesiedelt.
Je näher Menschen an den Industrieanlagen in Louisianas "Cancer Alley" wohnen, desto höher ist das Gesundheitsrisiko. Vorwiegend von Schwarzen bewohnte Gegenden sind besonders betroffen.
"Politik schenkt Anwohnern wenig Vertrauen"
Gemeinsam mit Anwälten unterstützt sie andere kleine Initiativen entlang des Mississippis bei ihren Klagen, zum Beispiel gegen staatliche Einrichtungen. Die Antwort auf die Frage, warum den Berichten der Anwohnerinnen und Anwohner über die vielen Krebsfälle nicht schon früher geglaubt wurde, ist aus ihrer Sicht einfach: Politiker vertrauten in ihren Entscheidungen oft wissenschaftlichen Untersuchungen.
Berichten von Anwohnerinnen und Anwohnern werde als Beleg für ein strukturelles Problem weniger oft Vertrauen geschenkt. Dies mache es den Betroffenen schwer. Wenn jemand sage, dass es keine Beweise für ein Gesundheitsproblem gebe, sei ihre nächste Frage als Wissenschaftlerin: Hat denn irgendjemand dazu geforscht? Die Antwort darauf laute in Louisiana oft: "Nein!". Auch deshalb habe sie ihre Studie durchgeführt.
Hoffen auf die US-Regierung
Die Botschaft von Robert Taylor scheint mittlerweile in Washington angekommen zu sein. Es ist ein heißer Tag in der Hauptstadt. Der Mann aus Louisiana steht im Rosengarten des Weißen Hauses im Schatten eines Baumes. Zusammen mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten ist er eingeladen. Präsident Joe Biden will deutlich machen, dass Umweltschutz für ihn Priorität hat.
Er verspricht Taylor und den anderen, dass man die Gefahr durch verschmutzte Luft für sie sehe und dass die Regierung sie einbeziehen wolle. Endlich das Gefühl zu haben, von der Regierung gehört zu werden, das mache diesen Tag in seinem Leben historisch, erklärt Taylor.
Er sagt aber auch: Messen werde er Taten, nicht Worte. Er will weiterkämpfen - bis die Kinder in seiner Nachbarschaft ohne einen Zweifel sicher zur Schule gehen können.