Ein Jahr Castro in Honduras Hohe Erwartungen, magere Bilanz
Seit einem Jahr ist Xiomara Castro nun im Amt. Aus Protest hatten viele in Honduras die linke Politikerin zur Präsidentin gewählt. Doch ihre Bilanz sieht mager aus.
Die Erwartungen der Menschen in Honduras waren hoch, als Xiomara Castro vor einem Jahr in den Regierungspalast einzog - als erste Frau und Linkspolitikerin. Die Menschen jubelten ihr damals zu. Ein Jahr danach zeigen sich viele enttäuscht, viele der Versprechungen seien nicht eingelöst worden.
"Xiomara Castro wollte Honduras in einem Jahr auf die Beine bringen, aber viele Probleme sind immer noch vorhanden: Es fehlen Arbeitsplätze, es mangelt an der Grundversorgung, Gesundheit, Bildung", erklärt etwa eine junge Honduranerin.
70 Prozent leben in Armut
Für andere, wie die alleinerziehende Mutter Carmen, hat sich zumindest ein bisschen was getan. Sie arbeitet in der Landwirtschaft in La Esperanza, rund drei Autostunden von der Hauptstadt Tegucigalpa entfernt. Die 32-Jährige hält der neuen Präsidentin zugute, dass "sie den Strompreis reduziert hat. Wir bezahlen jetzt nicht unglaublich viel weniger, aber das ist für diejenigen, die wenig Geld haben, immerhin etwas."
Fast 70 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, über 50 Prozent davon in extremer Armut. Castro hat viel versprochen: mehr Teilhabe, eine Regierung der Versöhnung, die Bekämpfung der Armut, der Korruption, der Gewalt.
Schweres Erbe des Vorgängers
Castro trat vor einem Jahr ein schweres Erbe an. Ihr Vorgänger Juan Orlando Hernández sitzt zwar wegen mutmaßlichen Drogenhandels in den USA im Gefängnis, aber seine Gefolgsleute in der Wirtschaft und in der Administration besetzen nach wie vor wichtige Posten. Honduras gehört zu den korruptesten und gefährlichsten Ländern der Welt.
Menschenrechts- und Umweltaktivistinnen riskieren nach wie vor ihr Leben. Allein 2021 wurden elf Aktivisten ermordet. Und bereits im ersten Monat dieses Jahres wurden offenbar drei weitere umgebracht. Sie hatten sich gegen Bergbauprojekte in einem Naturschutzgebiet und den Schutz ihrer Flüsse eingesetzt.
Der Bruder eines der Ermordeten, Reinaldo Domínguez, wirft der Präsidentin etwa vor, dass die Situation ihr entgleite. "Es gibt unzählige Vorkommnisse, jeden Tag passiert hier irgendetwas. Wir fordern von Castro den Stopp dieser umweltschädlichen Bergbauprojekte." Entgegen den Versprechungen, würden Umweltschützer weiterhin kriminalisiert, die Täter nicht gefasst.
Ausnahmezustand gegen Bandenkriminalität
Die Gewalt der Banden und Erpressungen prägen in Honduras den Alltag. Es war ein dominierendes Thema im Wahlkampf. Allerdings konnte Castro keine großen Erfolge bei der Bekämpfung vorweisen, was ihre Beliebtheitswerte schwächte. Ende des letzten Jahres reagierte sie dann mit der Verhängung des Ausnahmezustands über Tegucigalpa und die zweitgrößte Stadt San Pedro Sula, der Anfang des Jahres noch einmal verlängert wurde.
Die Soziologin und Sicherheitsexpertin Leticia Salomón hält die Maßnahme zumindest punktuell für sinnvoll. "Die Gewalt und die Erpressungen haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen in den Vierteln", erklärt sie. "Viele sind gezwungen, viel Geld zu bezahlen. Oft sind es die kleinen Läden, die Schutzgeld bezahlen müssen. Und es passiert nicht selten, dass sie dann die Entscheidung treffen, das Land Richtung USA oder Europa zu verlassen." Aus dieser Perspektive machte die Maßnahme, einen Ausnahmezustand zu verhängen, aus ihrer Sicht Sinn.
Gefahr von willkürlichen Maßnahmen
Allerdings treffe dies nicht uneingeschränkt zu, räumt Salomón ein. Die Polizei habe Sondervollmachten für Festnahmen erhalten. Die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Verhaftungen sei deshalb groß, wie Menschenrechtsorganisationen auch im Nachbarland El Salvador beobachten, das sich seit fast einem Jahr im Ausnahmezustand befindet.
Die Polizeieinsätze müssten konsequent kontrolliert werden, um Exzesse zu vermeiden, so die Sicherheitsexpertin. Kritiker bemängeln außerdem, dass eine nachhaltige Strategie fehle. Denn, solange die sozialen Probleme bestehen, würden sich junge Menschen den Gangs weiterhin anschließen, um das schnelle Geld zu machen.
Kampf gegen Armut, Gewalt und Korruption
Um Honduras im Kampf gegen die Korruption und die Straflosigkeit zu unterstützen, haben die Vereinten Nationen und die Regierung von Castro im vergangenen Dezember ein Abkommen für eine unabhängige externe Antikorruptionsmission unterschrieben. Es ist ein erster Schritt, der nun umgesetzt werden muss.
Der Aufbau von leistungsfähigen demokratischen Institutionen, der Kampf gegen Armut, Gewalt und Korruption bleiben eine Mammutaufgabe für Präsidentin Castro - auch in ihrem zweiten Jahr.