Haiti Wegen der Bandenkriege in ständiger Angst
In Haiti sind bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden mindestens 50 Menschen getötet und 110 verletzt worden. Hilfsorganisationen warnen vor einer katastrophalen Hungersnot durch die Auswirkungen.
Haitianer verlassen im Morgengrauen ihre Häuser in Port-au-Prince. Ein Twitter-Video zeigt, wie sehr der Alltag und das Leben der Menschen inzwischen von der Bandengewalt und ständiger Todesangst bestimmt ist.
"Haiti ist nicht stabil, jeden Tag gibt es mehr Gewalt und es gibt keine Zukunft für uns junge Leute in diesem Land", sagt der 33-jährige Nick Vandome. Ganze Stadtteile der Hauptstadt Port-au-Prince sind in der Gewalt krimineller Gruppierungen, die Schutzgelder kassieren, die Bevölkerung ausrauben, vergewaltigen, entführen oder ermorden.
Die Bandenkriege haben inzwischen Einfluss auf die ohnehin kritische Lebensmittelversorgung.
Lebensmittel werden knapp
Die Lage sei die vergangenen 90 Tage weiter eskaliert, sagt Jean-Martin Bauer, Direktor für Haiti für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: "Seit Freitag finden im Zentrum der Stadt, im Hafenviertel Cité Soleil, Kämpfe statt, seit gestern auch im benachbarten La Saline nahe dem Hafen und nahe den Armenvierteln, in denen Hunderttausende arme Menschen leben. Die Situation verschlimmert sich jeden Tag mehr."
Mindestens 50 Menschen sind seit Freitag getötet worden. Nach Angaben der haitianischen Zeitung "Le Nouvelliste" gehörten die meisten Opfer den bewaffneten Gruppen an. Die genaue Opferzahl sei schwer zu ermitteln, da die meisten Toten verbrannt würden.
"Port-au-Prince ist zu einem Gefängnis geworden"
In dem Armenviertel Cité Soleil gebe es keine ständige Polizeipräsenz. Die Zugangsstraßen zur Hauptstadt sind wegen der Gangs größtenteils abgeschnitten, sagt der politische Aktivist Etienne, der selbst aus Sorge vor einer Entführung nur mit dem Vornamen genannt werden will: "Es gibt hier praktisch kein Leben mehr, Port-au-Prince ist zu einem Gefängnis geworden. Die Menschen haben Angst, ihre Häuser zu verlassen."
Schon im März litten mindestens 4,5 Millionen Menschen im ärmsten Land des amerikanischen Kontinents an extremem Hunger.
Durch den Krieg in der Ukraine habe sich die Lage weiter verschlechtert, sagt Haitis World-Food-Programm-Direktor Bauer: "Haiti ist davon stark betroffen, weil die Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt gestiegen sind und deshalb Haiti sehr viel höhere Preise für Importe auf Nahrungsmittel zahlen muss. Die Inflation ist hier auf 26 Prozent angestiegen, die Lebensmittelinflation auf 52 Prozent."
Neben Hunger und Gewalt leidet die Bevölkerung an der politischen Unsicherheit. Die Banden unterwandern die lokale Wirtschaft durch Erpressung und illegale Besteuerung. Die Bandenkriege haben zugenommen, nachdem vor über einem Jahr der haitianische Präsident Jovenel Moise ermordet worden war. Die Hintergründe sind noch immer nicht aufgeklärt.