Stichwahl in Guatemala Brechen die Wähler den "Pakt der Korrupten"?
Bernado Arevalo ist eine Herausforderung für das Establishment in Guatemala - und Favorit in der Stichwahl zum Präsidentenamt. Seinen unerwarteten Erfolg im ersten Wahlgang verdankt er vor allem einem Versprechen.
Der Wahlkampfabschluss des linksgerichteten Bernardo Arevalo im Zentrum von Guatemala Stadt am Mittwoch ist ein großes Fest. Tausende Guatemalteken jubeln ihm zu, schwenken die blau-weiß-blau gestreifte Flagge. Später schüttelt der der 64-Jährige ausgiebig die Hände von Anhängern, freut sich darüber, "die Hoffnung der Menschen zu spüren" und schwärmt von der "Würde", die "in diesem Moment in der Luft liegt".
Seine Chancen bei der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag scheinen gut. 61 Prozent der Guatemalteken wollen ihm laut aktuellen Meinungsumfragen ihre Stimme geben. Das ist eine Überraschung, denn vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen Ende Juni galten er und seine Mitte-Links-Partei Movimiento Semilla ("Samenkorn-Bewegung") als Außenseiter. Doch Arevalo schaffte es als Zweitplatzierter in die Stichwahl, und Semilla wurde die drittstärkste Fraktion im Kongress.
Große Erwartungen an den Favoriten
Arevalos Erfolg beruhe auf dem Versprechen, die gravierende Korruption in Guatemala zu bekämpfen, sagt der pensionierte Menschenrechtsanwalt Michael Mörth, der seit 30 Jahren in Guatemala lebt. Egal, mit wem man spreche, sagt Mörth - man spüre viel Hoffnung und "die Erwartung, dass sich Dinge verändern".
60 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. 50 Prozent der Kinder leiden an Unterernährung. Die Macht haben korrupte Netzwerke aus organisiertem Verbrechen, Politikern, Beamten, Militärs, die auch der "Pakt der Korrupten" genannt werden.
Die Gegenkandidatin warnt
Arevalos Stichwahl-Konkurrentin ist Sandra Torres von der formal sozialdemokratischen Partei UNE, von 2008 bis 2012 First Lady an der Seite des damaligen Präsidenten Àlvaro Colom. Sie steht für die veralteten Strukturen und diesen Pakt.
In den aktuellen Umfragen erreicht sie nur 39 Prozent der Stimmen. Ihr Wahlprogramm die Diskreditierung von Arevalo. Er sei für Abtreibung und wolle das Militär abschaffen, behauptet Torres und verspricht, ihre Partei werde "die Kinder Guatemalas immer vor schlechten Einflüssen schützen".
Das Versprechen ist zugleich eine Warnung an Arevalos: "Legt euch nicht mit den guatemaltekischen Familien an. Und wir wissen, dass sie gegen die Familie, gegen das Leben und gegen die Religionsfreiheit sind."
Kämpft mit allen Mitteln gegen den Favoriten der Umfragen: Sandra Torres.
Bleibt alles beim Alten?
Sollte Torres entgegen der Umfragen die Wahl gewinnen, bliebe wohl alles beim Alten. Das Land würde dann weiter von einer kleinen autokratischen Elite regiert werden und von den öffentlichen Geldern wenig bei der Bevölkerung ankommen.
Sollte Arevalos gewinnen, scheinen für Michael Mörth drei Szenarien wahrscheinlich. Szenario eins: Die Staatsanwaltschaft könnte versuchen, die Wahl zu annullieren. Szenario zwei: Die Elite könnte versuchen, den Notstand zu erklären. Das sei aber relativ unwahrscheinlich, ist Mörth überzeugt, weil die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten dagegen vorgehen würden.
Bernado Arevalo legt sich mit dem Machtkartell in Guatemala an - das bringt ihm politischen Zuspruch, trägt ihm aber auch Drohungen ein.
Und auch ein drittes Szenario sei möglich: "Was in Ecuador passiert ist, kann hier in Guatemala jederzeit passieren", sagt er und spielt auf die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio vor wenigen Tagen an. Er sei sehr besorgt um die persönliche Sicherheit Arevalos: "Wenn dieser 'Pakt der Korrupten' wirklich in die Enge getrieben ist und der internationale Druck wirklich da ist, dann kann man nicht ausschließen, dass radikale Sektoren auch Attentate begehen."
Ein Attentat auf Arevalo sei ein unwahrscheinliches Szenario, aber nicht auszuschließen, so Mörth. Ein erster Versuch, das Wahlergebnis zu in Frage zu stellen, war nach dem ersten Urnengang gescheitert: Neun Parteien setzten mit einer Beschwerde vor dem Verfassungsgericht wegen angeblicher Ungereimtheiten eine Neuauszählung der Stimmen durch - die aber keine Änderungen des Ergebnisses ergab.
Auch das dürfte Arevalo gezeigt haben: Selbst wenn er die Stichwahl gewinnt, dürfte es für ihn nicht leicht werden, Guatemala zu verändern.