Einwanderungspolitik So funktioniert das Punktesystem in Kanada
Die Bundesregierung will Fachkräften die Einbürgerung erleichtern. In Kanada gibt es dafür bereits ein spezielles System: Je nach Qualifikation und Erfahrung werden Punkte vergeben. Könnte das Vorbild für Deutschland sein?
In den späten 1960er-Jahren stand Kanada vor ähnlichen Problemen wie Deutschland heute: Es fehlten Fachkräfte, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die Sozialsysteme zu erhalten. Bis dahin hatte Kanada auf Einwanderung aus Europa gesetzt - vor allem aus Großbritannien und Frankreich.
"Und dann kam es zu einer sehr mutigen und weitreichenden Entscheidung", sagt Oliver Schmidtke vom Center for Global Studies von der University of Victoria, im Westen Kanadas. Der damalige Premierminister Pierre Elliott Trudeau, der Vater des jetzigen Premiers Justin Trudeau, stellte Kanadas Einwanderungssystem um - "weg von der Herkunftsregion, hin zu den Qualifikationen".
Punkte für Fähigkeiten und Erfahrung
1967 führte die kanadische Regierung daraufhin ein ausgeklügeltes Punktesystem ein. Es wurden Kriterien aufgestellt - wie Ausbildung, die beruflichen Qualifikationen, die Sprachfähigkeit oder die Arbeitserfahrung. Diese wurden dann in einem Punktesystem zusammengefasst, sagt Schmidtke. Je nach Qualifikationen und Erfahrungsstand erhalte jede Person eine bestimmte Punktzahl. "Im Augenblick braucht man 67 von 100 Punkten, um sich als Einwanderer oder Einwanderin nach Kanada zu qualifizieren", sagt der Professor.
So kam auch Schmidtke 2000 nach Kanada. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung hat er im vergangenen Jahr die Einwanderungs- und Integrationspolitik seines Gastlandes analysiert, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder angepasst wurde. "Manchmal ging man dazu über zu sagen, wir brauchen eben jetzt so und so viele Ingenieure, nächstes Jahr so und so viele Mechaniker. Aber das hat sich als schwierig erwiesen", sagt Schmidtke. Denn es gebe zeitliche Verschiebungen, die so eine Planung erschwerten.
"Economic immigrants"
Letztlich aber habe sich das Punktesystem seiner Meinung nach bewährt. Dadurch ließen sich allgemeine Qualifikationen und Erfahrung abfragen und "sehen, welche Leute können wir am besten anwerben? Welche sind am vielversprechendsten für unsere Volkswirtschaft?"
Die Menschen, die so nach Kanada kommen, heißen denn auch "economic immigrants". Die meisten von ihnen kommen aus Indien, Pakistan und China. In den vergangenen 20 Jahren ist so jährlich mindestens ein Prozent der kanadischen Bevölkerung im Ausland neu angeworben worden - unabhängig davon, wer das Land gerade regiert hat.
Kanada will noch mehr Immigranten
Diese Zahl soll jetzt noch weiter erhöht werden, sagt der zuständige Minister Fraser, denn das Land leidet trotz Einwanderung unter Arbeitskräftemangel. "Der diesjährige Einwanderungsplan gibt Antworten auf diese Herausforderung: Das Ziel von in diesem Jahr von 431.000 Immigranten soll im kommenden Jahr auf 465.000 steigen", sagt der Minister. "Und dann bis 2025 auf 500.000 Menschen jährlich."
Der Fokus soll dabei auf der Vergabe von dauerhaften Visa für Menschen mit gefragten Qualifikationen und Berufserfahrung liegen. Außerdem will die Regierung dafür sorgen, dass die Einwanderer auch tatsächlich in ihrem Beruf arbeiten können. Denn daran hapert es laut Schmidtke auch im kanadischen Punktesystem.
Vom Arzt zum Taxifahrer
"Anerkennung von auswärts ausländischen Qualifikationen, Titeln, aber auch Arbeitserfahrung ist ein großes Problem", sagt er. Häufig würden Europäer dabei bevorteilt, weil man das System kenne. Immigranten aus anderen Teilen der Welt hätten hingegen "mit sehr viel größeren Problemen zu kämpfen", ihre Arbeitserfahrung oder ihre Qualifikationen anerkennen zu lassen.
Das gilt vor allem für Ärzte, Ingenieure und Lehrer. Weshalb es gut sein kann, dass auch in Kanada hochqualifizierte Zuwanderer am Ende Taxi fahren müssen, um über die Runden zu kommen. So kehrten zuletzt mehr als 20 Prozent der Einwanderer am Ende Kanada wieder frustriert den Rücken.
Das Punktesystem könne aber durchaus ein Vorbild für Deutschland sein, auch wenn es hier eine viel stärkere ungesteuerte Migration als in Kanada gibt, sagt Schmidtke. Deutschland müsse hierbei ein Gleichgewicht finden: Zwischen dem Umgang mit irregulärer Immigration wie Flüchtlingen auf der einen und "die Bereitschaft und den Mut, seine Einwanderungspolitik offener und breiter aufzustellen" auf der anderen Seite. Das Land brauche den Mut, "über die nächsten Jahrzehnte eine hohe Zahl an auswärtigen Fachkräften" anzuwerben, meint der Professor.