Joe Biden
interview

Rede zur Lage der Nation "Biden hat den Schalter umgelegt"

Stand: 08.03.2024 13:09 Uhr

Agil und energisch - so habe sich US-Präsident Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation gezeigt, sagt die Amerika-Expertin von Daniels. Er hat wichtige Themen angesprochen, Trump angegriffen und damit den Wahlkampf eingeläutet.

ARD: War es für Sie eine reine Wahlkampfrede, die Biden da gehalten hat?

Laura von Daniels: Es war nicht nur eine Wahlkampfrede, sie hat sich ja in weiten Teilen auch an den Rest der Welt gerichtet. Biden hat relativ viele außenpolitische Themen behandelt und er hat ganz am Anfang schon klargemacht, dass es ihm um die Widerstandsfähigkeit der Demokratie geht - nach innen und nach außen. Er hat alle Bedrohungen angesprochen, die im Land, aber auch außerhalb des Landes vorhanden sind.

Laura von Daniels
Zur Person
Dr. Laura von Daniels leitet die Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen auf der Wirtschaftspolitik der USA und der Währungspolitik.

"Agil und energisch"

ARD: Gab es für Sie etwas Überraschendes, etwas Unerwartetes in dieser Rede?

von Daniels: Im Laufe des Tages kamen ja die Nachrichten zu den Hilfsgütertransporten und der Einrichtung eines temporären Hafens in Gaza. Aber natürlich war auch die Festlegung des Präsidenten und ein Umschwenken seiner Israel-Politik, das er in dieser Rede deutlich gemacht hat, ein überraschender Moment am heutigen Tag.

ARD: War es denn aus Ihrer Sicht eine überzeugende, eine starke Rede des Präsidenten?

von Daniels: Ja, er hat auf jeden Fall klargestellt, dass er bereit ist für den Wahlkampf gegen Donald Trump. Er hat entgegen aller Vorurteile, die es gegenüber seinem Alter und seinem Gesundheitszustand gibt, gezeigt, dass er sehr agil ist. Er hat energisch gesprochen und im Grunde hat er jetzt den Schalter umgelegt in seiner Partei und den Wahlkampf mit dieser Rede eingeläutet.

Kritik an Trump

ARD: Es wird aller Voraussicht nach zur Neuauflage des Duells zwischen ihm und seinem Amtsvorgänger kommen. Trump lässt ja keine Gelegenheit aus, Biden persönlich zu attackieren. Was für einen Wahlkampf erwarten Sie bis November?

von Daniels: Sicherlich einen mit vielen persönlichen Angriffen. Biden macht das vom Stil her natürlich anders als ein Trump. Er hat auch heute Trump nicht persönlich angesprochen, sondern über den "früheren Präsidenten" gesprochen oder über seinen "Amtsvorgänger" - hat ihn aber stark kritisiert für seine Politik. Das werden wir künftig wohl öfter sehen. Und wie so häufig im Wahlkampf ist auch damit zu rechnen, dass beide Seiten versuchen werden, nach Skandalen zu suchen. Und von einer generell aggressiveren Rhetorik muss man in jedem Fall ausgehen.

Wirtschaft und Migration als Top-Themen

ARD: Beide werden aber auch versuchen, mit Themen zu punkten. Welche Probleme bewegen die Menschen in Amerika derzeit besonders?

von Daniels: Die Rede ist oft von der wirtschaftlichen Lage, die zwar eigentlich gut ist, von vielen Bürgerinnen und Bürgern aber nicht als besonders gut wahrgenommen wird. Das ist ein großes Thema. Ein weiteres ist die Migration, vor allem, weil die Zahl von Flüchtlingen, die in den letzten Monaten über die Südgrenze gekommen sind, wieder gestiegen ist. In vielen Bundesstaaten gibt es Sorgen, dass sie mit dieser Situation nicht zurechtkommen.

Und dann gibt es spezifischere Themen wie Abtreibung, künstliche Befruchtung oder die Studienkredite, die viele Bürgerinnen und Bürger immer noch abzahlen müssen. Gerade bei letzteren gibt es den Ruf nach mehr Unterstützung von der Regierung. Von diesen Themen kriegt man in Europa oft nicht so viel mit. Aber in den USA sind das wichtige Punkte.

ARD: Welche Wählergruppen werden jetzt besonders umworben von Republikanern und Demokraten?

von Daniels: Den Demokraten geht es um ein klares Signal an die Gruppierungen etwas links von der Mitte, die sich sehr israelkritisch geäußert haben und Bidens Nahost-Politik kritisch sehen. Es geht vor allen Dingen auch um junge Wählerinnen und Wähler und auch um die, denen Klimathemen sehr wichtig sind. Die umwirbt Biden, das ist ganz offensichtlich.

Bei Trump ist es genau das Gegenteil: Er will an bestimmte Gruppen ran, die bisher eher die Demokraten gewählt haben, also Menschen etwa, die noch in jüngster Zeit eingewandert sind. Und auch die schwarze Bevölkerung möchte er gerne stärker ansprechen - in den Umfragen sieht das auch ganz gut aus.

ARD: Wem räumen Sie denn - Stand heute - die besseren Chancen ein, Präsident zu werden?

von Daniels: Es wird auf jeden Fall ein wahnsinnig knappes Rennen. Aktuell liegt Trump mit einigen Prozent - mal sind es vier, mal fünf - in Umfragen vorne. Allerdings waren das noch Umfragen aus der Zeit, in der die Vorwahlen stattgefunden haben. Die große Frage wird jetzt sein: Werden die Anhängerinnen und Anhänger von Nikki Haley jetzt zu ihm wandern oder orientieren sie sich Richtung Biden? Oder gehen sie gar nicht wählen?

Für Biden gibt es die bereits erwähnten Wählergruppen, die er im Auge behalten muss. Denn sonst fehlen ihm die entscheidenden wenigen Prozente, um am Ende die Mehrheit zu holen.

Stefan Schlag, NDR, tagesschau, 08.03.2024 12:04 Uhr

Das Gespräch führte Stefan Schlag, NDR Info

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 08. März 2024 um 06:05 Uhr.