Aktivist in Argentinien Ökomillionär gegen chinesische Fangflotten
Der Millionär Enrique Piñeyro nutzt sein Vermögen, um auf Umweltvergehen aufmerksam zu machen. In seiner Boeing fliegt er tief über illegale Fangflotten, die in Argentiniens Wirtschaftszone fischen.
Es ist 18.30 Uhr in Buenos Aires, als eine private Langstreckenmaschine vom Flughafen Ezeiza Richtung Abenddämmerung durchstartet. Kurz darauf dreht sie ab und fliegt aufs offene Meer hinaus. Das Ziel: die 200-Meilen-Grenze vor der Küste. Dort endet die ausschließliche Wirtschaftszone Argentiniens.
Im Cockpit sitzt Enrique Piñeyro mit grauem Dreitagebart und steuert seine Boeing routiniert durch die dunkle Nacht. Der 66-jährige Piñeyro ist Pilot, Schauspieler, Arzt - und vor allem steinreich. Sein Großvater hatte ein Firmenimperium gegründet. Mit dem Verkauf seiner Anteile machte sich Piñeyro unabhängig und tritt seitdem immer wieder als Umweltaktivist in Erscheinung.
Lichtermeer aus Fischerbooten
Während er den mitgereisten Journalisten und Diplomaten an Bord Snacks und Wein aus seinem eigenen Spitzenrestaurant servieren lässt, wird es draußen immer heller. Piñeyro senkt seine Boeing auf eine Flughöhe von 1.700 Metern. Plötzlich erscheint unter dem Flugzeug ein Lichtermeer - fast wie ein Sternenhimmel.
Der Flieger ist am Ziel von Piñeyros heutiger Mission: Er will der Öffentlichkeit die illegale Fischerei vor der argentinischen Küste zeigen. Es seien vor allem chinesische Fangflotten, die die ausschließliche Wirtschaftszone Argentiniens mit ihren Netzen im großen Stil durchsieben. In der Dunkelheit sind die Reflektoren unzähliger Schiffe gut zu erkennen. Das Meer scheint beim Überflug hell erleuchtet wie eine Großstadt. "Wir fliegen 30 Minuten lang über dieser Flotte und sie hört einfach nicht auf, weil sie derart groß ist", erklärt Piñeyro entrüstet.
Als Pilot beobachte Piñeyro seit Jahrzehnten illegale ausländische Fangflotten vor den Küsten Südamerikas.
26 Millionen Tonnen illegaler Beute jährlich
Im April 2021 hätten sie 517 Boote gezählt, so Piñeyro über das Bordmikrofon. Wie viele es dieses Mal genau sind, könne man erst im Nachhinein bei der Auswertung der Aufnahmen feststellen. Oft stammten die Schiffe aus China, sagt Piñeyro - aber es seien zudem schon illegale japanische und koreanische Flotten gesichtet worden.
Auch im Pazifik, vor den fischreichen Küsten Perus und Ecuadors, sei das Meer nachts hell erleuchtet, weil ausländische Flotten den Ozean ausbeuten. Auch dort war Piñeyro bereits mit seiner Boeing unterwegs.
Diese Fangflotten fischen meist ohne Erlaubnis in fremden Wirtschaftszonen. Als Pilot beobachte Piñeyro dies bereits seit Jahrzehnten. Fachleute gehen weltweit jährlich von bis zu 26 Millionen Tonnen illegaler Beute aus. Meist haben es die Flotten auf Langusten, Seehecht und Tintenfisch abgesehen.
Eine schillernde Figur
Enrique Piñeyro ist in Argentinien eine schillernde Figur. Bekannt wurde er ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Flugzeugabsturz. Als Pilot der Airline LAPA hatte er in den 1990er-Jahren mehrfach auf schlechte Sicherheitsstandards hingewiesen und deswegen sogar gekündigt.
Kurze Zeit später erfüllten sich seine Warnungen auf tragische Weise: 1999 verunglückte ein LAPA-Flugzeug beim Start in Buenos Aires. 63 Menschen starben. Aus der Geschichte seiner unglückseligen Prophezeiung machte Piñeyro einen Spielfilm - "Whisky, Romeo, Zulu" - mit sich selbst in der Hauptrolle. Er produzierte weitere Filme, trat als Stand-Up-Comedian auf und eröffnete ein Restaurant in Buenos Aires, das mittlerweile auf Monate ausgebucht ist.
Humanitäre Aktionen mit Medienwirksamkeit
Über sein Millionenvermögen spricht Piñeyro nicht gerne und veröffentlicht auch keine Zahlen. Klar ist: Er gehört zu einer der reichsten Familien Argentiniens, den Rocca, denen der multinationale Industriekonzern Techint gehört. Nachdem Enrique Piñeyro seine Firmenanteile verkauft hatte, gründete er die Hilfsorganisation Solidaire.
Seitdem macht er regelmäßig mit medienwirksamen humanitären Aktionen auf sich aufmerksam, bei denen er bevorzugt selbst im Cockpit seines Flugzeuges sitzt. Zuletzt hat er ukrainische Flüchtlinge in verschiedene Aufnahmeländer geflogen. Außerdem arbeitet er mit der spanischen NGO Open Arms zusammen, die unter anderem Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet.
"Enormer Schaden für die Zukunft"
Während des Flugs über dem Atlantik ist die Schlange zum Cockpit lang. Zahlreiche Journalisten wollen dem Öko-Millionär bei der Arbeit über die Schulter blicken. An Bord sind auch die Botschafter der EU, der USA und Japans in Argentinien. Sie wollen sich ein Bild vom Ausmaß der Fangflotten machen.
Bei der anschließenden Pressekonferenz in der Flughafenhalle macht Piñeyro nochmal klar, was seine Beweggründe sind: "Mithilfe internationaler Verträge müsste man diese Art der Meeresverwüstung verhindern, denn die Folgen dieser Fischerei sind weltweit zu spüren."
Wenn es nach ihm ginge, müssten die betroffenen Länder mit täglichen Flügen ihre Grenzen überwachen. Die wenigen staatlichen Kontrollboote seien dieser großen Aufgabe nicht gewachsen. Die illegale Fischerei sei "ein enormer Schaden für die Zukunft" und hätte weitreichende Folgen für das komplette Ökosystem. "Es ist nicht nur ein argentinisches Problem, sondern ein Problem der gesamten Menschheit."
Es seien vor allem chinesische Fangflotten, die die ausschließliche Wirtschaftszone Argentiniens mit ihren Netzen im großen Stil durchsieben, sagt der Aktivist Enrique Piñeyro.
Jetset für die gute Sache
Nach dem Flug hat er nicht viel Zeit. Am nächsten Tag geht es in den Libanon. Dort will er Hilfsgüter für Syrien abgeben. Danach fliegt er weiter nach Madrid und Warschau, um ukrainische Flüchtlinge nach Kanada zu transportieren. Warum er das all macht? "Warum sollte ich es nicht machen?", fragt Piñeyro zurück. Es sei reines Mitgefühl. "Die Menschlichkeit ist etwas, das uns alle angeht, und wer in Not ist, ist in Not."
Ob als Hauptdarsteller in Filmen oder am Steuer seines Privatflugzeugs: Enrique Piñeyro investiert nicht nur viel Geld in die Projekte, für die er sich einsetzt, sondern stellt auch seine Person in den Mittelpunkt des Geschehens. Als Schauspieler, Pilot, Gastronom, Arzt und als Umweltaktivist.
Mit seinem Atlantikflug hat er in jedem Fall ein großes Medienecho ausgelöst, weil er den Mitreisenden ein Problem vor Augen geführt hat, das sie sonst nicht zu sehen bekommen hätten.