Ai Weiwei in Mexiko Mit Legosteinen gegen das Vergessen
In Mexiko sorgt ein Projekt des Künstlers Ai Weiwei für Wirbel. Aus Legosteinen hat er Porträts von 43 verschwundener Studenten gebaut. Die Regierung wolle die Wahrheit vertuschen, sagt er.
Von Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
Ai Weiwei legt den Finger in die Wunde Mexikos: Riesige, bunte, aus Legosteinen gebaute Gesichter der schon seit vier Jahren verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa blicken herab in einen Saal des Museums für zeitgenössische Kunst. Sie überwältigen mit ihrer Präsenz.
Erinnerungen wiederherstellen, "restablecer memorias" - das ist der Titel der Ausstellung in Mexiko-Stadt und die Absicht des chinesischen Künstlers. Das monströse Verbrechen von 2014 ist bis heute nicht aufgeklärt.
Es ist nur eines von vielen: 40.000 Menschen sind in Mexiko verschwunden. Auch an sie wolle er erinnern, so Ai Weiwei bei der Ausstellungseröffnung: "Tausende, die niemals erwähnt werden. Sie sind einfach weg." Die mexikanische Regierung schiebe es auf die Drogenkartelle und versuche, alles herunterzuspielen.
Dabei geht es doch um die Würde und das Leben von Menschen. Als Bürger, Künstler oder Politiker stellen wir die ganz einfache Frage: Was ist wirklich passiert? Sagt uns die Wahrheit!
Umstrittene Untersuchungsergebnisse der Behörden
Mexikos Behörden hatten schon wenige Monate nach dem Verschwinden der Lehramtsstudenten eine angeblich "historische Wahrheit" präsentiert. Die 43 Studenten, die in der Stadt Iguala Busse gekapert hatten, um damit zu einer Demonstration in die Hauptstadt zu fahren, seien demnach von korrupten Polizisten entführt und an Drogenbanden übergeben worden.
"Ich fühle sehr tief für diese Eltern". Ai Weiwei vor den Lego-Porträts der verschwundenen Studenten.
Diese hätten die jungen Männer getötet und auf einer Müllhalde verbrannt, behauptete der Generalstaatsanwalt. Wenig später widerlegten das unabhängige internationale Experten.
2016 traf sich Ai Weiwei mit Eltern der Verschwundenen, die unermüdlich Aufklärung fordern. Er habe Menschen getroffen, die glauben wollen, ihre Söhne seien noch am Leben. "Ich habe dazu sehr viele Gefühle, weil ich Sohn von jemandem bin und weil ich einen zehnjährigen Sohn habe", so der 61-Jährige. "Ich würde verrückt, wenn man ihn mir wegnähme. Ich würde Terrorist, wenn er verschwände. Ich fühle sehr tief mit diese Eltern."
"Die Erinnerung ist wie ein Puzzle"
Gefühle bestimmten sein Handeln, sagt Ai Weiwei. Unpolitische Kunst könne er sich nicht vorstellen. Derzeit arbeitet er an einem Film über die 43 Studenten - noch mehr schmerzhafte Erinnerung, nicht nur für Mexiko.
Regierungen versuchten die Wahrheit zu vertuschen, glaubt Ai Weiwei. Deutsche Waffen landeten in den Händen von mexikanischen Kriminellen. Und die USA schickten die meisten Waffen nach Mexiko. Das Thema sei sehr viel größer als das der verschwundenen Stundenten.
Die Drogen werfen sehr viel Geld ab, wen kümmern da die Bauern? Viele Eltern der verschwundenen Studenten sind Bauern. Ein großer Teil der Drogen, die in den USA verkauft werden, stammen aus ihrer Region. Die Tragödie, sich dort abgespielt hat, betrifft nicht nur sie, sondern die globale Politik. Niemand kann sagen: das ist nicht unser Problem.
Die Erinnerung sei wie ein Puzzle, sagt Ai Weiwei. Die Million Legoteile, die die Portraits der 43 Studenten formen, sind jetzt Teil eines Puzzles, seines Werks, das eine Antwort auf die Frage fordert, was geschehen ist.
Gefertigt hat er es mit einer Gruppe von 150 Studenten der Autonomen Universität Mexikos, zu der das Museum für Zeitgenössische Kunst gehört. Studenten seien die Zukunft, so Ai Weiwei. Das Verschwinden der 43 sei deshalb ein Anschlag auf die Zukunft gewesen.