Gewalt im Sudan "Diese Unterdrückung ist unverantwortlich"
Der UN-Sicherheitsrat hat die UN-Mission im Sudan um ein Jahr verlängert. Dem Staat droht eine Katastrophe - Tausende sind von Hunger bedroht. Die Proteste gegen die Militärregierung des Landes dauern an.
Dumpfes Knallen gehört schon fast zum Alltag in Sudans Hauptstadt Khartum. Es stammt von Tränengaskartuschen, die vom sudanesischen Militär abgefeuert werden, um Demonstranten zurückzudrängen. Fast täglich gehen sie auf die Straße, fordern in Sprechchören Freiheit, Demokratie, Menschenrechte - und die Freilassung politischer Gefangener.
Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen mit dem Militär. Bilder der Nachrichtenagentur Reuters zeigen Gruppen von Demonstranten, die Taucherbrillen tragen, um sich vor den Tränengassalven zu schützen, Tücher vor dem Mund, in den Händen Pflastersteine. "Diese Unterdrückung ist unverantwortlich", so ein älterer Demonstrant. "Es ist nicht richtig. Das sudanesische Volk allein soll das Schicksal des Landes bestimmen. Wir leisten Widerstand, selbst wenn die Hälfte von uns dabei stirbt."
Militär herrscht mit harter Hand
Im Sudan herrscht Chaos. Vor drei Jahren war es den Demonstranten gelungen, den langjährigen Herrscher Omar al-Baschir abzusetzen. Doch die Übergangsregierung, die eingesetzt wurde, um das Land zu demokratischen Wahlen zu führen, blieb nicht lange an der Macht: Im Oktober vergangenen Jahres putschte das Militär. Machthaber ist jetzt Armeechef Abdel Fattah al Burhan, der das Land mit harter Hand regiert.
Seitdem kommt es regelmäßig zu Massendemonstrationen, auf die das Militär mit Tränengas und Gummigeschossen antwortet. Auch seien Demonstranten durch gezielte Kopfschüsse getötet worden, berichten Beobachter. Insgesamt starben nach Angaben von Ärzten bei den Demonstrationen mehr als 100 Menschen.
Aus Sicht von Ossman Merghany, Chefredakteur einer sudanesischen Zeitung, ist die Spitze der Tragödie erreicht. "Mehr als 100 Tote, obwohl die Demonstrationen gar nicht so groß waren, dass sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dargestellt hätten. Das zeigt, dass es hier um eine systematische Unterdrückung von Protesten geht."
Afrikanische Union und UN fordern Dialog
Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union dringen auf einen Dialog zwischen allen politischen Kräften. Sie befürchten ein endgültiges Scheitern des Staates. Das Militär fordert von den Demokratie-Befürwortern Kompromisse, die diese ablehnen. Kürzlich gab es ein leichtes Entgegenkommen der Armee: Sieben Monate nach dem Putsch hob Militärchef al-Burhan den landesweiten Ausnahmezustand auf. Außerdem wurde angekündigt, alle politischen Gefangenen freizulassen - einige durften tatsächlich bereits gehen.
Ein Hoffnungsschimmer? Das Entgegenkommen zeige vor allem, wie sehr der Sudan wirtschaftlich unter Druck stehe, sagt der freie Journalist und Sudan-Kenner Tobias Simon. Dies sei eine Folge dessen, "dass die Finanzhilfen, die in der Vergangenheit ausgezahlt worden sind, nicht mehr ausgezahlt werden, blockiert werden. Weil das Militär mit einer solchen repressiven, brutalen Art gegen die Demonstranten vorgeht. Und das stellt den Sudan vor eine enorme Herausforderung."
UN: Jedem zweiten Menschen im Sudan droht Hunger
Nach Einschätzung der Vereinten Nationen wird bis Jahresende jeder zweite Sudanese Hunger leiden. Wichtige Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft wurden nach dem Putsch eingefroren. Das Land schlittert auf eine wirtschaftliche und politische Katastrophe zu, warnt auch der deutsche UN-Sondergesandte für den Sudan, Volker Perthes.
Die politische Pattsituation hat einen hohen humanitären Preis. Die Lebensmittelpreise sind im Vergleich zum Vorjahr um 250 Prozent gestiegen. Die Auswirkungen sind dramatisch. Die Zahl der Sudanese, die akut vom Hunger bedroht sind, wird sich verdoppeln. Die Krise im Sudan ist hausgemacht und braucht dringend eine Lösung. Ich rufe die Sudanesen auf, die Gelegenheit zu ergreifen.
Wegen seines Vermittlungseinsatzes steht Volker Perthes selbst im Sudan in der Kritik. Das Militär lehnt eine Einmischung in innere Angelegenheiten ab. Kürzlich gab es in Khartum - möglicherweise bestellte - Demonstrationen gegen Perthes.
Theatralisch drohte Militärchef al-Burhan dem deutschen UN-Diplomaten bereits mit der Ausweisung: "Wir sehen, wie er sich anmaßend benimmt und wie er öffentlich lügt. Wir sagen ihm: Du hast ein bestimmtes Mandat und wir haben es Dir erlaubt, am Dialog teilzunehmen. Aber wenn Du lügst und über das sudanesische Volk herrschen willst, dann weisen wir Dich aus. Ich schwöre bei Gott, wir schicken ihn auf die Straße!"
Machtgebaren? Oder nur ein Manöver, um von den wirklichen Problemen des Sudans abzulenken? Die weltweite Versorgungskrise ist auch im Sudan spürbar. Unterdessen verlängerte der UN Sicherheitsrat die UN -Mission im Sudan um ein Jahr. Damit bleibt auch Volker Perthes als Sondergesandter im Amt.
"Es gibt keinen anderen Weg als eine zivile Regierung"
Die Menschen auf den Straßen Khartums wollen weiter demonstrieren. Demokratie sei nicht verhandelbar, sagt Aktivistin Mona: "Es gibt keinen anderen Weg als eine zivile Regierung. Wir lehnen jede Form von Kooperation mit dem Militär ab. Die Armee hat keine Legitimität und wir verhandeln da nicht. Wir wollen Gerechtigkeit. Mit Gottes Hilfe sind schon einige Regimes gestürzt worden - und das wird hier auch passieren."
Mit dem Militär könne es keinen Kompromiss geben, sagen viele Demonstranten. Und so hallen die Tränengassalven weiter durch Khartums Straßen - bis es vielleicht irgendwann nicht beim Tränengas bleibt.