Sudanesische Flüchtlinge in Ägypten "Es fühlt sich an wie Krieg ohne Grund"
Tausende Sudanesen haben in den vergangenen Tagen die Grenze nach Ägypten überquert. Dort suchen die Flüchtlinge Schutz - doch in Assuan und Umgebung warten neue Unsicherheiten und Probleme auf sie.
Eine schmale Bank im Schatten, ein Tütchen Saft für die Kinder - Iman Abdullah und ihre Familie sammeln Kraft auf einem Busbahnhof in der Nähe von Assuan.
Hinter ihnen liegt eine strapaziöse Reise: Sechs Tage mit dem Bus von der sudanesischen Hauptstadt Khartum bis über die Grenze nach Ägypten - bei Temperaturen um die 40 Grad im Schatten. Vom Süden Ägyptens aus wollen sie und die Familie ihres Bruders weiter in Richtung Norden.
"Von Kairo aus werden wir wahrscheinlich verschiedene Wege gehen", sagt sie. "Aber wir versuchen, so lange wie möglich zusammen zu bleiben, damit die Kinder sich nicht so fremd fühlen."
Zehntausende Flüchtlinge aus dem Sudan
Iman Abdullah und ihre Familie sind auf der Flucht - wie Zehntausende Menschen. Die Kämpfe der beiden mächtigsten Männer im Sudan haben sie zermürbt. Es gibt kaum noch Strom, Essen, Trinken, keine medizinische Versorgung und erst recht keine Sicherheit.
Es fühlt sich an wie ein Krieg ohne Grund. Sie vertreiben die Menschen, sie vertreiben die Kinder. Uns ging es früher sehr gut - aber von einem Moment auf den anderen sind wir Vertriebene, haben keine Arbeit mehr und kein Geld.
Iman und ihre Familie gehören zu den Sudanesen, die sich die teuren Bustickets nach Ägypten leisten konnten. Seit Beginn der Kämpfe ist der Preis um das Zehnfache gestiegen, bis zu 1000 Euro kosten die Fahrkarten pro Person.
Iman ist Zahnärztin. Ihre drei Kinder gingen in Khartum auf internationale Schulen und sprechen Englisch und Arabisch. Doch jetzt sitzt ihr siebenjähriger Sohn Mustafa niedergeschlagen und verängstigt neben ihr. Die Unsicherheit der vergangenen Tage hätte vor allem den Kindern zu schaffen gemacht, sagt Iman. Die elfjährige Tala erklärt, warum: "Es tut mir sehr weh, mein Land zurückzulassen und die ganze Familie. Es tut weh, alle zurückzulassen."
Weder Essen noch Trinken
Ein paar Meter weiter hievt ein Fahrer das Gepäck mehrerer Reisender auf das Dach eines Kleinbusses. Die meisten haben nur einen Koffer dabei. Der von Shehab Al-Din ist fast leer. "Wir hatten die Reste aus unserem Kühlschrank dabei, die haben für einen Tag gereicht", sagt er. "Am zweiten Tag hatten wir nichts mehr - weder Essen noch Trinken. An einem Tag gab es Bohnen mit ein bisschen Salz, an einem anderen Falafel."
Auf der ägyptischen Seite angekommen, hätten sie sauberes Wasser, Saft und Chips bekommen. "Die Kinder waren unfassbar glücklich - als sei ein Traum wahr geworden."
Shehab Al-Din hält seine zweijährige Tochter auf dem Arm. Der hochgewachsene Mann trägt ein modisches Hemd und eine passende Ledertasche. In Khartoum arbeitete er in einem Medizinlabor, bis es in der Hauptstadt zu gefährlich wurde.
Der Krieg ist in Khartum angekommen
Die Situation sei schlimm, sagt er, "extrem schlimm"." Sie ist katastrophal - und es gibt keinerlei Hilfe von Organisationen - weder humanitäre Hilfe noch freiwillige Helfer noch medizinische Versorgung. Alles ist außer Betrieb."
In den Sudan zurückkehren wolle er auf keinen Fall, sagt der 39-Jährige. Schon in der Vergangenheit gab es viele Unruhen und Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen. Aber jetzt sei der Krieg in Khartum angekommen:
Der Beschuss hört gar nicht mehr auf - die Raketen, die Gewehre, die Flugzeuge. In den Straßen der Hauptstadt liegen überall Leichen. Raketengeschosse schlagen in Wohnhäusern ein - völlig willkürlich.
"Wir haben keinen Plan"
Shehab, seine Frau und seine beiden Kinder wollen weiter nach Kairo. Doch Fahrkarten für die Bahn sind zurzeit ausverkauft. Shehab zählt die ägyptischen Geldscheine in seiner Hand. Ob sie für eine Übernachtung in Assuan reichen? Er schaut auf und überlegt. Gegenüber auf der Bank sitzen Iman und ihre Kindern. Sie warten.
"Wir haben keinen Plan" sagt Iman, "Das Wichtigste für uns war, dem Krieg zu entkommen. Jetzt müssen wir sehen, was passiert."