Haftentlassung in Südafrika "Unfair, dass Pistorius vorzeitig entlassen wird"
Der auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassene Oscar Pistorius wohnt vorerst im Haus seines Onkels in Pretoria. Insbesondere Frauen halten die Freilassung des früheren Spitzensportler für falsch.
Die Lawley Road in Waterkloof liegt in einem exklusiven Viertel Pretorias, der südafrikanischen Hauptstadt. Hier wohnen Unternehmer, Prominente, Diplomaten. Menschen, denen es gut geht. Arnold Pistorius zum Beispiel. Er ist der Onkel von Oscar Pistorius.
Und nach Lage der Dinge wird auch der wegen Mordes an seiner Freundin verurteilte frühere Weltklassesprinter für längere Zeit in der Lawley Road zu Hause sein. Schon während der Gerichtsverfahren wohnte er bei seinem Onkel.
"Oscar Pistorius ist seit dem 5. Januar auf Bewährung frei, und er ist jetzt zu Hause", sagte ein Sprecher der Justizverwaltung. Wann und wie Pistorius nach Waterkloof gebracht wurde, ist eine Art Staatsgeheimnis. Womöglich ist das schon gestern passiert, um ein Medienspektakel zu verhindern. Die Reporter aus aller Welt warteten heute jedenfalls vergeblich.
Kein Alkohol, keine Drogen, keine Interviews
Freigelassen wurde Pistorius unter strengen Auflagen. Er darf - unter anderem - seinen Wohnort ohne Erlaubnis der Behörden nicht verlassen, muss soziale Arbeit machen und ein Anti-Aggressionstraining absolvieren, damit er seine Wutanfälle gerade Frauen gegenüber in den Griff bekommt. Alkohol und Drogen sind für ihn tabu, Interviews ebenfalls. Die Bewährungszeit läuft bis 2029.
Das Echo auf die Entscheidung ist gemischt. Viele Menschen halten sie für falsch - vor allem Frauen. Das ist wenig verwunderlich, auch weil Gewalt gegen Frauen in Südafrika ein großes gesellschaftliches Problem ist. "Viele sitzen lebenslänglich hinter Gittern, es ist wirklich unfair, dass Oscar Pistorius vorzeitig entlassen wird" - das ist eine Äußerung am Tag der Entlassung. Oder: "Verurteilte Mörder sollten länger im Gefängnis bleiben."
Einst war Pistorius ein großes Vorbild
Ganz klar: Der wegen seiner Beinprothesen als "Bladerunner" bekannt gewordene Spitzenathlet ist tief gefallen. Vom gefeierten Vorbild zum verurteilten Mörder. Der frühere Polizeipsychologe Gerard Labuschagne hat mit Oscar Pistorius kurz nach der Tat am 12. Februar 2013 lange gesprochen und den Prozess aufmerksam verfolgt.
"Es ging nicht nur um die Mordanklage. Es ging auch um einen Schuss, der in einem belebten Restaurant abgefeuert wurde, um einen Schuss aus dem Sonnendach eines Autos. Das ist eine Seite von Oscar, die wir so nicht erwartet hatten", so Labuschagne. "Arrogant, und angeberisch. Dabei haben ihn die meisten von uns für einen liebenswerten Menschen gehalten, für einen Helden."
Charakterzeugin sagte für Pistorius aus
Die Isländerin Ebba Gudmundsdottir sagte im Prozess als sogenannte Charakterzeugin für den Angeklagten aus. Sie kennt Pistorius seit 2006. Damals mussten ihrem neugeborenen Sohn beide Unterschenkel amputiert werden. Der erfolgreiche Behindertensportler aus Südafrika habe der Familie neue Hoffnung gegeben. Aus einem Briefwechsel wurde Freundschaft, die bis heute besteht. Die Nachricht von den tödlichen Schüssen war für sie ein Schock.
Ich wusste: Es muss ein Unfall gewesen sein. Denn er hatte immer so viel Angst wegen der Kriminalität in Südafrika. Und ich kann heute noch besser verstehen, wie verletzlich man sich fühlt, wenn man keine Füße hat.
"Reeva wird nicht mehr zurückkommen"
June Steenkamp, die Mutter des Mordopfers, kann dagegen nicht glauben, dass Pistorius aus Angst vor einem Einbrecher durch die Badezimmertür auf ihre Tochter geschossen hat. Die Freilassung unter strengen Auflagen hält sie trotzdem für richtig. Die Entscheidung sei eine "klare Botschaft, dass in Südafrika geschlechtsspezifische Gewalt ernst genommen wird", heißt es in einer schriftlichen Erklärung.
Aber auch: Am 14. Februar 2013 habe das Land seinen Helden verloren, und sie ihre kostbare Tochter. "June Steenkamp kann nicht einfach weitermachen, denn Reeva wird nicht mehr zurückkommen," sagt Tania Koen, die Anwältin der Familie. "June fühlt - wie alle, die einen geliebten Menschen verloren haben - dass sie eine lebenslange Strafe verbüßen muss."