Nigeria in Krisenzeiten Afrikas größte Demokratie wählt
Spritkrise, Bargeldmangel, Terrorismus. Nigeria ist zwar Afrikas größte Demokratie, aber auch ein Land im Zeichen vieler Krisen. Das Ergebnis der heutigen Wahl ist aus mehreren Gründen völlig offen.
Schlange stehen. Warten. Im Zentrum von Nigerias Hauptstadt Abuja stehen Autos einen Tag vor der Wahl vor einer Tankstelle Schlange. Es bewegt sich nichts. 20 Meter, 50 Meter, die Schlange wird länger und länger. Einige Fahrer stellen den Motor aus, steigen aus. Ein Mann in seinem silbernen Wagen ist gerade am Ende der Schlange angekommen.
Es sei nicht die erste Tankstelle heute, an der er warten müsse, erzählt er: "Manchmal gehst du zu einer bestimmten Tankstelle und wenn du kein Bargeld hast, dann verkaufen sie dir nichts. Ich habe kein Bargeld, das macht alles schwierig und sehr stressig."
Ölreiches Land ohne Sprit und Bargeld
Was dieser Autofahrer anspricht, sind gleich zwei Krisen, die vielen Menschen in Nigeria das Leben schwer machen. Zum einen: die Spritkrise. Das ist für viele paradox, denn Nigeria ist Afrikas Öl- und Gasriese. Trotzdem importiert Afrikas größte Volkswirtschaft Benzin und Diesel teuer aus dem Ausland. Der Grund sind unter anderem die fehlenden und maroden Raffinerien im Land. Die Spritkrise ist aber nicht die einzige, die viele gerade umtreibt.
Im Millennium Park in Abuja auf der großen grünen Rasenfläche sitzen fünf junge Frauen auf einer Decke und machen ein Picknick. Sie alle sind Erstwählerinnen. So richtig Lust auf die Wahlen haben sie nicht. Der Grund: Das Bargeld fehlt. Das Vertrauen in die Politik auch.
"Wir kommen nicht mal an unser eigenes Bankkonto mit unserem eigenen Geld ran. Und dann verkaufen Banken das neue Geld, also nimmst du dein Geld von deinem Konto, um Geld von der Bank zu kaufen. Ich verstehe nicht, warum wir jetzt gerade Wahlen abhalten - benennt einfach jemanden, der uns weiter leiden lässt", sagt eine der Frauen.
Neue Geldscheine gegen Wahlbetrug
Was die Studentinnen beschreiben: Es gibt fast kein Bargeld. Der Hintergrund: Nigerias Regierung wollte neue Geldscheine einführen, laut eigenen Angaben, um den Kauf von Stimmen und die Finanzierung von Terror zu erschweren. Seitdem kommen zahlreiche Menschen nicht mehr an Bargeld. Die Banken haben nicht genug von den neuen Geldscheinen. Obwohl die Regierung die Deadline für die alten Scheine nach hinten verschoben hat, hat das die Situation nicht wirklich verbessert - viele nehmen die alten Naira-Scheine nicht mehr an.
Auf dem Parkplatz des Parks sind sonst viele Stände aufgebaut. Heute fehlten die Kunden, erzählt die Verkäuferin: "Selbst unsere Verkäufer-Kollegen fragen, ob ich beim Transport helfen kann. Gerade ist einer gegangen, der gefragt hat, ob ich ihm mit Bargeld helfen kann, damit er nach Hause kommen kann. Sieh, hier sind keine Verkäufer mehr. Als eine Businessfrau hatte ich gestern kein Bargeld, um zu meinem Stand zu kommen. Ich musste Geld bezahlen, um an Geld zu kommen. Manche sind hungrig, können sich nicht mal mehr Essen kaufen. Wie sollen wir da wählen gehen, wenn wir nichts zu essen haben?"
Terrorismus und Kriminalität
In anderen Gegenden machen sich die Menschen eher Gedanken um ihre Sicherheit. Die US-Botschaft hat ihre Bürger vor Reisen in Nigeria gewarnt, unter anderem wegen Terrorismus und Entführungen. Wenige Tage vor der Wahl haben die nigerianischen Behörden die Präsenz von Sicherheitskräften im Land sichtlich erhöht. Dabei geht es nicht nur um Unruhen und Proteste.
ISWAP, ein Ableger des IS in Westafrika, hat Boko Haram als tödlichste Terrormiliz des Landes abgelöst. Gleichzeitig verschlechtern ethnische Konflikte und kriminelle Banden, die nicht nur Menschen überfallen, sondern auch zahlreiche Schulkinder entführen, die Sicherheitslage.
Nigeria spürt den Klimawandel
Ein weiteres Thema ist der Klimawandel. Erst im Oktober vergangenen Jahres erlebte Nigeria Überschwemmungen wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Hunderttausende verloren ihr Zuhause, Hunderte starben durch die Fluten. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind laut den Vereinten Nationen auf Hilfe angewiesen - die meisten von ihnen Kinder. Nigerias Mehrfachkrisen haben Millionen Menschen zu Vertriebenen im eigenen Land gemacht.
Korruption und Instabilität
Die grassierende Korruption und die massive Wirtschaftskrise lassen fast zwei Drittel der Bevölkerung in extremer Armut leben. Auch deshalb sehen viele die jetzigen Wahlen als Hoffnungsschimmer, erklärt Cynthia Mbamalu von Yiaga Africa, einer NGO, die sich für Demokratie und faire Wahlen einsetzt. Über 3000 Wahlbeobachter von insgesamt 145.000 schickt Yiaga Africa landesweit in die Wahlbüros.
Vor allem für junge Menschen ginge es um viel. Immerhin sind bei dieser Wahl gut 70 Prozent aller Wahlberechtigten unter 49 Jahre, 37 Prozent jünger als 34 Jahre. Die Zukunft dieser Menschen müsse drastisch verbessert werden, sagt Cynthia Mbamalu. Ansonsten hätte das drastische internationale Auswirkungen: "Die Wahl sendet eine Botschaft, dass Nigeria eine Demokratie ist. Diese Wahlen sind kritisch innerhalb der westafrikanischen Sub-Region, gerade mit den ganzen Putschversuchen und den beharrlichen Versuchen, die Demokratie zu untergraben."
Nigeria sei die größte schwarze Nation - Westafrika könne keiner Flüchtlingskrise standhalten, wenn Nigeria instabil werde, so Mbamalu. "Jetzt schon haben wir viele junge Nigerianer, die weg wollen. Wenn Nigeria zu instabil wird, um darin zu leben, wird das Länder auf dem Kontinent und im Westen unter Druck setzen. Denn es wird schwierig sein, die große Anzahl an Menschen aufzunehmen, die einen Ausweg suchen, wenn das System hier nicht funktioniert. Diese Wahl ist bedeutsam. Wir müssen zeigen, dass es Hoffnung gibt."
Neuer Favorit verspricht Wandel
Junge Wählerinnen und Wähler könnten dieses Mal Nigerias Wahlhistorie grundlegend ändern. Zum ersten Mal gelten drei der 18 Präsidentschaftskandidaten als Favoriten. Normalerweise liefern sich immer der Kandidat der jetzigen Regierungspartei APC und der größten Oppositionspartei PDP ein Kopf an Kopf Rennen. Neu ist, dass nun einem dritten, Peter Obi von der Labour Partei, gute Chancen ausgerechnet werden. Der 61-Jährige ist der jüngste der drei Favoriten.
Seine regelrechte Fangemeinde nennt sich die "obi-dient" - ein Wortspiel aus dem englischen obidient (gehorsam) und Peter Obis Name. Obi präsentiert sich als Gegenentwurf zur als korrupt geltenden Elite. Gerade die jungen Leuten, die 2020 massiv gegen Polizeigewalt und Korruption auf die Straße gegangen sind, unterstützen Obi. Die große Frage bleibt, wie viele Wähler an den Wahlurnen mobilisiert werden können. Noch nie war eine Wahl in Nigeria laut Experten so unvorhersehbar.