ARD-Korrespondent Jörg Armbruster im Interview "Ägyptens Militär will Macht im Staate bleiben"
Vor einem Jahr war er live auf Sendung, als Präsident Mubarak stürzte: ARD-Korrespondent Jörg Armbruster. Er beobachtet die Entwicklung des Landes intensiv: vom Jubel der Oppositionsbewegung über ein Erstarken der islamistischen Kräfte hin zur unkontrollierten Macht des Militärs. Im Interview mit tagesschau.de zieht Armbruster eine düstere Bilanz.
tagesschau.de: Sie haben vor einem Jahr live über den Sturz Mubaraks in der ARD berichtet. Was haben Sie damals empfunden?
Jörg Armbruster: Wir ahnten an diesem Tag schon, dass etwas Gravierendes passieren würde, denn Mubarak hatte seinen Palast gegen 14 Uhr verlassen. Dass er schon am Nachmittag zurücktrat, war überraschend, und dass er es in dem Moment tat, als ich live für die 17-Uhr-Ausgabe der Tagesschau berichtete, war großes Reporterglück. Wir haben zusammen mit den Hamburger Kollegen dann spontan eine sehr lange Sondersendung gemacht.
tagesschau.de: Was fühlt man als Journalist in solch einem historischen Moment?
Armbruster: So intensiv im Zentrum des Geschehens dabei sein zu können, ist das Schönste, was einem Journalisten passieren kann - besonders, da ich ja die 18 Tage der Proteste, die vorausgegangen waren, miterlebt hatte. Der 11. Februar 2011 war ein ganz besonderer Tag, der mich auch persönlich sehr glücklich gemacht hat.
"Der revolutionäre Geist hat Ernüchterung Platz gemacht"
tagesschau.de: Wie haben Sie die Stimmung in den Wochen nach dem Sturz Mubaraks erlebt?
Armbruster: Das ganze Volk hat gejubelt - außer natürlich die Anhänger Mubaraks, aber die waren in der Minderheit. Die ersten Wochen waren geprägt von sehr viel Optimismus, von überschäumendem, revolutionärem Geist. Der hat sich leider über das Jahr verloren und einer großen Ernüchterung Platz gemacht.
tagesschau.de: Die Militärregierung hat übergangsweise die Macht übernommen. Konnte man damals schon abschätzen, welche Gefahren dies für den Demokratisierungsprozess bringt?
Armbruster: Das Militär hatte Mubarak ja praktisch zum Rücktritt gezwungen. Das gab den Ägyptern und auch ausländischen Beobachtern das Gefühl, das Militär und Volk eins sind. Aber schon einen Monat später relativierte sich dieser Eindruck vollständig. Bei einer Demonstration auf dem Tahrir-Platz ging die Armee sehr brutal gegen die Menschen vor. Da konnte man ahnen, dass das Militär sich hier seine eigene Macht sichern will. Und dieser Eindruck hat sich inzwischen ja bestätigt.
"Militär wichtig für Erfolg einer Revolution"
tagesschau.de: Hätte es Alternativen zu der Militärregierung gegeben?
Armbruster: Ich habe keine Alternative gesehen. Auch in den arabischen Nachbarstaaten lässt sich beobachten, wie wichtig das Militär für den Erfolg einer Revolution ist. Oppositionsbewegungen waren immer dann erfolgreich, wenn das Militär auf ihrer Seite stand. In Syrien sehen wir derzeit das Gegenteil: Dort macht das Militär nicht mit, und die Protestbewegung ist zumindest bisher noch nicht erfolgreich.
tagesschau.de: Wo steht Ägypten auf dem Weg zur Demokratie ein Jahr nach dem Sturz Mubaraks?
Armbruster: Wir müssen uns wohl auf einen Prozess einrichten, der Jahre dauern wird. Derzeit droht der Demokratisierung die größte Gefahr nicht von den Muslimbrüdern, sondern vom Militär, das versucht, seine Sonderrolle zu retten. Das Militär will sich vom Parlament nicht kontrollieren lassen und eine eigene Macht im Staate bleiben. Derzeit ringen die politischen Kräfte darum, das Militär in seine Schranken zu weisen. Aber es sieht gerade nicht danach aus, dass dies bald erfolgreich sein wird.
tagesschau.de: Wie einig beziehungsweise uneinig ist die Oppositionsbewegung?
Armbruster: Aus den jüngsten Wahlen ging die Muslimbruderschaft als stärkste Kraft hervor, gefolgt von den Salafisten. Von daher gibt es schon eine große islamistische Einheitsfront, die das politische Leben in Ägypten bestimmen wird. Die Tahrir-Platz-Opposition, zu der die Muslimbrüder ja sehr spät dazu gestoßen sind, ist allerdings zersplittert und zerstritten. Die einzelnen Gruppen haben es nicht geschafft, sich vor den Wahlen zu einem großen Block zusammenzuschließen. Die sind zunächst mal von der politischen Bühne verschwunden.
"Eine fast resignierte Stimmung"
tagesschau.de: Wie viel Frust herrscht innerhalb dieser zivilgesellschaftlich orientierten Oppositionsbewegung?
Armbruster: Die Menschen sind sehr ernüchtert. Es herrscht eine fast resignierte Stimmung. Ich begegne aber auch Leuten innerhalb dieser Bewegung, die sagen: 'Es war eine demokratische Wahl, die Mehrheit hat sich für die Islamisten entschieden, wir akzeptieren das und müssen uns jetzt so aufstellen, dass wir beim nächsten Mal erfolgreicher sind.' Diese Einsichten gibt es, aber es ist noch ein weiter Weg, bis sich in Ägypten wirklich eine demokratische Kultur etabliert hat.
tagesschau.de: Für das westliche Ausland waren die Bilder der Gewalt-Eskalation im Stadion von Port Said in der vergangenen Woche sehr bestürzend anzusehen. Was sind die Hintergründe?
Armbruster: Es deutet sich mittlerweile an, dass es da um weit mehr ging, als um Fußball-Randale. Am Montag wurden zwei Bankiers verurteilt, die angeblich die Schlägertrupps in Port Said finanziert haben. Diese Bankiers sind eng verbunden mit Gamal Mubarak, dem Sohn des gestürzten Diktators. Es könnte also durchaus sein, dass hinter dieser gezielt angefachten Eskalation der politische Plan steckt, das Land weiter zu destabilisieren.
tagesschau.de: Welche Perspektive sehen Sie für Ägypten?
Armbruster: Es wird in den nächsten Monaten wohl immer wieder provozierte Gewaltausbrüche geben, um das Land zu destabilisieren. Auf lange Sicht glaube ich aber schon, dass das Land den Weg zur Demokratie schafft. Allerdings müssen wir uns wohl auf einen sehr langen Prozess einstellen.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.