ARD-Korrespondent Aders in Syrien "Alle erwarten einen Militärschlag"
Seit Monaten sind kaum noch Journalisten in Syrien, doch ARD-Reporter Thomas Aders hat es nach Damaskus geschafft. Dort demonstriere das Regime Stärke, während die humanitäre Lage im Land schlechter und schlechter wird, sagt er im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Wie präsent ist der Krieg in Damaskus?
Thomas Aders: Obwohl man keine direkten Kriegsvorbereitungen sieht, ist er sehr präsent. Alle erwarten ihn, die Gegner und die Befürworter. Es werden zwar nicht offensichtlich Militäreinheiten verlegt, aber der Krieg liegt einfach in der Luft.
tagesschau.de: Wie ist die Stimmung der Menschen?
Aders: Wir befinden uns im Zentrum der Macht, in Damaskus, deshalb haben wir bislang nur mit Regimetreuen gesprochen. Bei denen ist die Stimmung sehr aufmüpfig. Alle erwarten einen Militärschlag, haben wahrscheinlich persönlich auch Angst, aber das gestehen sie nicht ein. Sobald die in einer Gruppe auftauchen, überbieten sie sich darin, besonders kraftvoll und widerspenstig gegenüber dem erwarteten US-Angriff zu wirken. Die Haltung ist: "Die können uns ruhig angreifen, wir werden nie nachgeben, das Regime Assad wird überleben." Wie die Stimmung bei den Rebellen ist, beispielsweise in Aleppo, kann ich nicht sagen.
"40 Flüchtlinge leben in einem Zimmer"
tagesschau.de: Wie ist die humanitäre Lage?
Aders: Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond haben uns übereinstimmend gesagt, dass die humanitäre Lage absolut katastrophal ist. Allein am vergangenen Wochenende sind 10.000 Menschen aus Syrien geflohen. Daran sieht man, wie groß die Panik ist. Seit Beginn des Bürgerkriegs sind auch viele Syrer nach Damaskus geflohen, normalerweise leben hier rund vier Millionen Menschen, inzwischen sind es etwa 6,5 Millionen. Es gibt Häuser, in denen leben 40 Flüchtlinge in einem Zimmer. Dazu gibt es Viertel in Damaskus, wo das Rote Kreuz seit Monaten nicht mehr hingekommen ist, weil sie vom Militär weiträumig abgeriegelt wurden, dabei handelt es sich auch um die Viertel, in denen angeblich Giftgas eingesetzt wurde.
Bilder eines US-Angriffs dürften nicht gezeigt werden
tagesschau.de: Wie stark schränkt das Regime Sie in Ihrer Arbeit ein?
Aders: Wir haben immer einen Aufpasser dabei und dürfen natürlich nicht alles machen. Wir können zum Beispiel nicht sagen: Wir fahren jetzt mal nach Homs und gucken da mal wie es so aussieht. Das wird uns definitiv vom Informationsministerium nicht genehmigt. Aber es gibt auch viele Sachen, die uns erlaubt sind.
tagesschau.de: Aber können Sie sich selber aussuchen, mit wem Sie sprechen und was Sie in Damaskus drehen?
Aders: So lange man im Sinne des Regimes berichtet, ist es okay, da dürfen wir sehr viel machen. Wenn es aber kritisch wird, dann sind die Zügel sehr eng. Gestern wurden wir zum Beispiel ziemlich deutlich gewarnt: Falls es zu Luftangriffen des Westens kommen sollte und wir dann Bilder dieses Angriffs ohne Genehmigung zeigen würden, wäre das ein Grund, uns ins Gefängnis zu stecken.
"Assad hat wesentliche Waffen in Sicherheit gebracht"
tagesschau.de: Wie haben Sie sich angesichts eventueller US-Luftschläge oder auch potenziell möglicher Giftgaseinsätze des Assad-Regimes auf die Reise vorbereitet?
Aders: Wir haben schusssichere Westen dabei und auch eine C-Waffen-Schutzgarnitur. In letzter Sekunde ist es uns dann noch gelungen, Atropin zu kaufen, das ist ein Medikament, das beispielsweise nach einer Sarin-Vergiftung eingesetzt wird. Und kurz nach unserer Ankunft haben wir hier das Hotel gewechselt, weil unser erstes sehr nahe an einer Kaserne lag.
tagesschau.de: Assad hat ja sehr viel Zeit, sich auf mögliche US-Angriffe vorzubereiten. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass er zwischenzeitlich alle militärisch relevanten Dinge verlegt hat und die Kasernen als potenzielles Angriffsziel inzwischen leer sind?
Aders: Ich glaube, dass alle wesentlichen Waffen vom Regime in Sicherheit gebracht worden sind, dass es die Chemiewaffen verlagert und die Artillerie versteckt hat. Auch die Befürworter eines Angriffs gehen nicht davon aus, dass Luftschläge des Westens die grundlegende Situation verändern würden.
Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de