Interview

Interview zu US-Truppenabzug Kommt der Abzug zum richtigen Zeitpunkt?

Stand: 19.08.2010 14:40 Uhr

Kaum Strom, kaum Wasser und die Zahl der Anschläge nimmt zu. Zudem ringen die Politiker seit Monaten um die Bildung einer neuen Regierung. Kommt der Abzug der US-Truppen zum richtigen Zeitpunkt? ARD-Korrespondent Jörg Armbruster zieht im Interview mit tagesschau.de eine gemischte Bilanz.

tagesschau.de: Die meisten US-Kampftruppen haben den Irak verlassen. Ist das der richtige Zeitpunkt?

Jörg Armbruster: Das ist schwer zu sagen. Einige irakische Militärs sagen, es ist ein ungünstiger Zeitpunkt, weil die Zahl der Anschläge in den letzten Wochen wieder dramatisch zugenommen hat. Ein irakischer General geht sogar soweit, zu sagen, die amerikanischen Truppen müssten eigentlich bis 2020 im Land bleiben, um es zu stabilisieren. Denn dazu seien die irakischen Truppen, weder die Streitkräfte noch die Polizei, nicht in der Lage.

Zur Person

Jörg Armbruster vom Südwestrundfunk leitet das ARD-Studio Kairo als Auslandskorrespondent. Er ist unter anderem zuständig für die Länder Irak, Kuwait, Jemen und Saudi-Arabien.

tagesschau.de: Der Abzug markiert das Ende der "Operation Irakische Freiheit", die vor knapp siebeneinhalb Jahren begann. Wie sieht die Bilanz aus?

Armbruster: Eine positive Bilanz ist zweifellos, dass der schlimmste Diktator des Nahen Ostens, Saddam Hussein, besiegt wurde - obwohl er in einem zweifelhaften Prozess zum Tode verurteilt wurde. Die Menschen haben schon dreimal in relativ freien Wahlen wählen dürfen. Und sie hätten durch ihre Stimmabgabe politische Veränderungen erreichen können, wenn es im Irak verantwortungsvolle Politiker gäbe. Diese Politiker aber, die zum Teil abgewählt oder neu ins Palament gewählt worden sind, streiten sich seit sechs Monaten über die Bildung einer Regierung. Und das in einer Zeit, in der der Irak sehr instabil ist und dringend eine stabile Regierung haben müsste. Die Gespräche zwischen den verschiedenen Parteien sind im Augenblick eingestellt. In absehbarer Zeit ist also nicht zu erwarten, dass es tatsächlich eine stabile Regierung gibt, die das Land zur Entwicklung dringend bräuchte.

tagesschau.de: Zur Negativ-Bilanz zählt auch, dass viele Iraker nach wie vor keinen Strom und kein sauberes Wasser haben.

Armbruster: Die Menschen leiden fürchterlich darunter. Viele Iraker haben vielleicht zwei Stunden Strom am Tag und müssen Generator-Strom dazukaufen. Zudem müssen sie Trinkwasser kaufen. Siebeneinhalb Jahre nach Ende des Krieges stimmt die Grundversorgung in dem Land nicht und die Zahl der Anschläge nimmt zu.

tagesschau.de: Warum nehmen die Anschläge gerade jetzt zu?

Armbruster: Die Zielrichtung dieser Anschläge ist eindeutig: Die Streitkräfte und die Polizei sollen demoralisiert werden. Es soll ihnen täglich vorgeführt werden, wie angreifbar und wie verletzbar sie als Polizisten und als Soldaten im Irak sind. Damit soll das Land destabilisiert werden, zumal es keine Regierung hat.

tagesschau.de: 56.000 US-Soldaten bleiben vorerst im Land. Sie sollen aber eine Rolle im Hintergrund spielen und bis Ende nächsten Jahres ebenfalls abziehen. Was ist ihre Aufgabe?

Armbruster: Sie werden nicht in den Straßen patrouillieren, wie es die Kampftruppen teilweise noch gemacht haben. Sie haben eine reine Ausbildungsfunktion. Die US-Soldaten sollen die irakischen Streitkräfte und Polizisten trainieren und sie auf ihre neuen Aufgaben vobereiten. Aber die Iraker selber sagen, ein Jahr, das uns für diese Aufgabe noch bleibt, das ist eigentlich viel zu kurz.

Die Fragen stellte Tina Petersen, tagesschau.de