Spiel auf Zeit: Die Illusion vom Sandstrand an der Ostsee

Stand: 27.05.2023 06:00 Uhr

Urlaub an der Ostsee bedeutet für Touristinnen und Touristen vor allem eines: Strand. Doch Stürme und Hochwasser tragen jedes Jahr Sand ab. Viele Gemeinden schütten oder spülen deshalb ihre Strände künstlich wieder auf. Das ist jedoch keine nachhaltige Lösung.

von Friederike Schneider

Bei strahlendem Sonnenschein stehen in den Tagen vor Pfingsten bereits die ersten Strandkörbe am Steinwarder in Heiligenhafen (Kreis Ostholstein). An einem Strandabschnitt fahren stattdessen jedoch Lkw und eine Planierraupe auf und ab. Insgesamt laden die Lastwagen hier rund 5.500 Kubikmeter Sand aus einer Kiesgrube in Malente ab, um den Badestrand für die beginnende Tourismussaison wieder herzurichten. Denn im Winter haben Stürme auf einem Abschnitt von rund 500 Metern schwere Schäden angerichtet. "Der Strand ist unser Kapital", sagt Tourismusleiter Eike Doyen. "Dieser Bereich ist sehr wichtig für uns, jeder Meter zählt."

So wie Heiligenhafen geht es vielen Gemeinden an der Ostsee. Nach Daten des Landesbetriebes für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN) wurden allein im Jahr 2022 insgesamt 18.775 Kubikmeter Sand aus touristischen Gründen aufgeschüttet, unter anderem in Timmendorfer Strand, Heikendorf oder Mönkeberg (beide Kreis Plön). Im Jahr 2019 waren es sogar 63.300 Kubikmeter, davon allein 40.000 in Heiligenhafen. Damals hatte eine Sturmflut große Mengen an Sand abgetragen.

Für den Küstenschutz nicht notwendig

Bagger am Strand in Heiligenhafen © NDR Foto: Friederike Schneider
Die Aufschüttungen sind für den Küstenschutz an der Ostsee nicht nötig.

Für den Küstenschutz wären die sogenannten Sandersatzmaßnahmen jedoch nicht notwendig, erklärt Jacobus Hofstede vom Referat Küstenschutz, Hochwasserschutz und Häfen im Umweltministerium Schleswig-Holstein. "Für den Bereich Küstenschutz ist diese Situation hier nicht kritisch. Wir haben ein starkes Deckwerk, das gewährleistet den Hochwasserschutz", sagt er. Während an der Nordsee, zum Beispiel auf Sylt, sogenannte Sandvorspülungen zur Küstensicherung dazugehören, gebe es diesen Bedarf an der Ostsee nicht. Trotzdem werden die Sandersatzmaßnahmen genehmigt - weil sie dem Küstenschutz auch nicht schaden.

Geologe: Küstenlinie wird künstlich erhalten

Eigentlich müsste man in das dynamische Küstensystem gar nicht eingreifen, sagt Küstengeologe Prof. Dr. Christian Winter von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: "Das natürliche System schafft sich seine Küstenlinie und ist dann im Gleichgewicht zwischen den wirkenden Kräften, also Wasserstand und Wellen, Bewegung, Strömung und der Küstenlinie." Als natürliche Sandquelle dienen die Steilufer. "Der Sand, der dort abbricht, geht in den sogenannten Küstenlängstransport und wandert die Küste entlang", erklärt Winter. Ein Beispiel sei der Falkensteiner Strand in Kiel, an dem sich der Sand ablagert, der am Steilufer bei Schilksee abbricht.

Allerdings herrscht an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste Sandknappheit. Weil gleichzeitig der Meeresspiegel steigt, bedeutet das Gleichgewicht, von dem Winter spricht, dass die Küsten zurückgehen - an der Ostsee laut LKN um 0,2 Meter pro Jahr, lokal sogar 1,1 Meter. Früher oder später würde sich so wieder ein Strand ausbilden, nur eben weiter hinten, erklärt Winter. Genau das geht aber meist nicht, weil die Küste bebaut ist. "Wenn man jetzt die Steilküste oder einen anderen Küstenabschnitt festhalten will - aus guten Gründen, weil da Bebauung ist, weil da irgendeine Nutzung vorliegt - dann kommt es zum Problem, dass dieses Gleichgewicht nicht mehr herrscht", sagt der Küstengeologe. "An diesen Gebieten, wo die Küstenlinie künstlich gehalten wird, wird es ohne Aufspülung, ohne künstlichen Sedimenteintrag nicht möglich sein, Strände zu halten."

"Wir spielen nur auf Zeit"

Eine nachhaltige Methode ist das aber nicht. "Wir spielen hier letztendlich nur auf Zeit", sagt Jacobus Hofstede vom Umweltministerium. "Langfristig ist das keine Lösung." Das sieht auch die Gemeinde selbst so. "Es gab jetzt dreimal in fünf Jahren größere Abträge. Da muss man sich in Zukunft Gedanken über eine nachhaltige, alternative Nutzung in diesem Bereich machen", sagt Tourismusleiter Doyen. Es werde mit Hochdruck an neuen Konzepten gearbeitet - derzeit könne man aber noch nicht auf den zusätzlichen Sand verzichten.

Kritik von Naturschutzverbänden

Naturschutzverbände kritisieren die Sandersatzmaßnahmen. An einigen Orten stammt der Sand von Ausbaggerungen, zum Beispiel von Fahrrinnen. "Anders als an Land, sieht man nicht, wo genau gebaggert wird", sagt Dagmar Struss von Naturschutzbund (NABU) Schleswig-Holstein. So könnten zum Beispiel Seegraswiesen oder andere Strukturen beschädigt werden. Außerdem würden mit dem Sand auch Organismen entnommen, ergänzt Stefanie Sudhaus, Meeresschutzreferentin vom BUND Schleswig-Holstein. Weiterhin werde durch Baggerarbeiten Sediment aufgewirbelt, was die Eutrophierung, also die Anreicherung von Nährstoffen, verstärkte. Auch wenn der Sand nicht vom Meeresboden, sondern wie in Heiligenhafen aus Kiesgruben stammt, kann es auf lange Sicht Probleme geben. "Wenn wir jetzt anderes Sediment einbringen, anderen Sand, der vielleicht gröber oder feiner ist, dann wird der anders transportiert und eventuell noch schneller weggebracht", erklärt Geologe Winter. Hofstede betont, dass vor den einzelnen Maßnahmen auch der Naturschutz geprüft werde. Dazu gehört auch, woher der Sand stammt und wo genau er aufgebracht werden darf.

Gemeinde will neue Konzepte entwickeln

"Es kann natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache sein, jedes Jahr aufs Neue mit dieser finanziellen Belastung durch die Saison zu kommen, das ist klar, obwohl es touristisch absolut notwendig ist", sagt Doyen. 260.000 Euro kostet die Maßnahme die Gemeinde in diesem Jahr, Förderung vom Land gibt es diesmal nicht. In Zukunft will die Gemeinde ein neues Nutzungskonzept für den betroffenen Bereich entwickeln. Doyen spricht zum Beispiel von einem Holzpromenadenweg mit Verweilplattformen und Aktivitäten. Dann wäre es auch möglich, den Sandstrand an diesem Abschnitt aufzugeben. Auch das Land will bis Ende des kommenden Jahres eine Klimaanpassungsstragie für die Ostsee erarbeiten, berichtet Hofstede. Aktuell laufen dafür verschiedene Forschungsprojekte. Hofstede betont, dass die Strategie gemeinsam mit den Kommunen erarbeitet werden soll.

Touristen die Realität zumuten

"Langfristig gibt es, glaube ich, keinen anderen Weg als die Touristinnen und Touristen damit auch zu konfrontieren, dass die Küste dynamisch ist", meint Küstenforscher Winter. Dazu gehöre auch, Küstenabschnitte zu zeigen, die nicht von einem reinen Sandstand geprägt seien. "Meine eigene Einschätzung ist, man kann den Leuten schon die Realität zutrauen. Die Faszination Meer ist ja trotzdem zu spüren, auch wenn man nicht auf dem weißen Sandstrand liegt." Sandstrand wird es in Heiligenhafen trotzdem weiterhin geben, versichert Tourismusleiter Doyen. Vorerst auch auf dem Abschnitt, der immer wieder ausgebessert werden muss. Die Gemeinde hat vom LKN eine Genehmigung für die kommenden fünf Jahre bekommen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 27.05.2023 | 19:30 Uhr

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