Die Angeklagte (M) steht bei der Fortsetzung des Prozesses im Oberlandesgericht (OLG) Dresden im Verhandlungssaal und hält einen Aktenordner vor ihr Gesicht.
Das Gericht hat Lina E. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Oberlandesgericht Dresden Urteil im Linksextremismus-Prozess: Mehr als fünf Jahre Haft für Lina E.

31. Mai 2023, 19:05 Uhr

Nach knapp 100 Verhandlungstagen ist am Mittwoch der Mammutprozess gegen die Linksextremistin Lina E. und drei Mitangeklagte zu Ende gegangen. Begrüßt wurden die Angeklagten mit lautem Beifall von den Zuschauerplätzen. Bei der Urteilsverkündung hingegen gab es lautstarken Protest, sodass die Sitzung für 15 Minuten unterbrochen werden musste.

In Dresden ist heute die Linksextremistin Lina E. zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Drei mitangeklagten Männer im Alter von 28 bis 37 Jahren erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten.

Richter: Kriminelle Vereinigung gebildet und unterstützt

Nach Überzeugung der Staatsschutzkammer sind die 28 Jahre alte Studentin Lina E. und ein gleichaltriger Mitangeklagter der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig, ein 37-Jähriger und ein weiterer 28-Jähriger wegen deren Unterstützung. Lina E. und zwei der Mitangeklagten wurden zudem der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden, ein vierter Angeklagter der Beihilfe dazu.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten zwischen 2018 und 2020 an mehreren Überfällen auf tatsächliche und vermeintliche Neonazis in Wurzen, Leipzig und im thüringischen Eisenach beteiligt waren oder diese zumindest unterstützt hatten. Laut Anklage wurden dabei 13 Menschen verletzt, darunter zwei potenziell lebensbedrohlich.

Ein Kronzeuge hatte Lina E. und die drei Mitangeklagten belastet. Lina E. und den drei Mitangeklagten wurden die Gründung einer kriminellen linksextremistischen Vereinigung vorgeworfen, Körperverletzungen, räuberischer Diebstahl und Landfriedensbruch. Der Prozess hatte im September 2021 unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Es handelt sich um die schwersten Vorwürfe gegen die linksradikale Szene seit Jahren.

Bundesanwaltschaft forderte acht Jahre Haft

Als Knackpunkt im Prozess erwies sich die Frage, ob sich der Vorwurf einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung erhärten lässt. Die Richter der Staatsschutzkammer bejahte dies und blieb mit seinem Urteil unter den Strafanträgen der Bundesanwaltschaft, doch weit über den Forderungen der Verteidigung. Diese hatte das Verfahren als "politischen Prozess" kritisiert und Freisprüche verlangt. Die Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. acht Jahre Haft beantragt sowie für die drei Männer Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten sowie drei Jahren neun Monaten.

Polizisten mit einem Spürhund laufen vor dem Oberlandesgericht Dresden entlang
Polizisten laufen mit einem Spürhund am Oberlandesgericht Dresden entlang. Bildrechte: picture alliance/dpa

Richter: Keine Rechtfertigung für angeklagte Fälle

Der Vorsitzende Richter, Hans Schlüter-Staats, betonte in seiner Urteilsbegründung, dass auch der Kampf gegen Rechtsextremismus keine Gewalt rechtfertige. Er stimme gern der Einschätzung zu, dass von rechter Gewalt die größte Gefahr ausgeht und dass es schwierig sei, diese Gewalt aufzuklären. Er wolle auch die Defizite bei der Strafverfolgung nicht klein reden. Dennoch werde "auch ein gewalttätiger Nazi wird nicht durch seine Taten vogelfrei".

Es bleiben schwere Straftaten.

Hans Schlüter-Staats Vorsitzender Richter

Sich Rechtsextremen entgegenzustellen sei ein "achtenswertes Motiv", sagte Schlüter-Staats, rechtfertige aber nicht die angeklagten Fälle. "Es bleiben schwere Straftaten." Außerdem habe die Verteidigung die Angeklagten mit einer "propagandistischen Begleitmusik" zu Opfern eines angeblichen "Repressionsstaates" gemacht.

Lautstarker Protest im und vor dem Gericht

Nach der Verkündung des Strafmaßes protestierten Unterstützer und Sympathisanten im Saal lautstark gegen das Urteil. Daraufhin unterbrach der Richter die Sitzung für 15 Minuten. Mehrere Personen mussten aus dem Saal gebracht werden, nachdem sie das Gericht beleidigt hatten.

Auf der Antifa-Kundgebung vor dem Gebäude warfen Redner dem Vorsitzenden Richter parteiisches Verhalten vor, das "schockierend sei". Das Gericht habe sich geweigert, sich mit den Biographien der Neonazis näher zu beschäftigen. In den ostdeutschen Provinzen - unter anderem in thüringischen Eisenach, im sächsischen Wurzen und vielen anderen Orten seien seit Jahrzehnten systematisch rechtsextreme Strukturen aufgebaut wurden.

Demonstranten aus dem linken Spektrum laufen vor Beginn der Urteilsverkündung gegen Lina E. und drei Männer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden mit einem Banner „Nazis die Stirn bieten“ entlang.
Linke Demonstrierende haben sich vor dem Gerichtsgebäude in Dresden versammelt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

"Wie real rechtsextreme Szenarien sind, zeigt doch erst die Hakenkreuz-Gartenparty in Döbeln vor einer Woche", erklärte ein Sympathisant der Kundgebung vor dem Oberlandesgericht. Gewalt sei allerdings in keiner Weise zu rechtfertigen. Trotzdem dränge sich eine Unverhältnismäßigkeit im Urteil auf. "Rechtsextreme Hooligans beispielsweise verüben regelmäßig körperliche Gewalt, ohne dass darauf ein jahrelanger Prozess mit hohen Freiheitsstrafen folgt."

Lina E. mehr als zwei Jahre in U-Haft

Lina E. befindet sich wegen der Anschuldigungen seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Die Mitangeklagten waren bislang nicht in Haft.

Wer ist Lina E.? - Die heute 28 Jahre alte Frau stammt ursprünglich aus Kassel. Sie studierte in Halle/Saale Erziehungswissenschaften und schrieb sich für ein Masterstudium an der Universität Leipzig ein.
- Mit 25 Jahren wurde sie im Leipziger Stadtteil Connewitz verhaftet. Seit ihrer Festnahme 2021 und medienwirksamen Vorführung per Helikopter beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe sitzt sie in der JVA Chemnitz in Untersuchungshaft.
- Die Angeklagte soll in einer 2018 in Leipzig gegründeten und überregional vernetzten Vereinigung eine herausgehobene Stellung eingenommen haben.

Geteilte Reaktionen aus der Politik

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat das Urteil begrüßt. "Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus. Wir müssen unsere liberale Demokratie schützen vor ihren Feinden, doch nicht mit Selbstjustiz", schrieb der Politiker am Mittwoch auf Twitter. Recht und Gesetz würde für alle gelten, hieß es weiter.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht eine zunehmende Gefahr durch linksextreme Gewalttäter. "In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen", sagte die Politikerin in Bezug auf das Urteil. Im demokratischen Rechtsstaat dürfe es keinen Raum für Selbstjustiz geben.

Sachsens Innenminister Armin Schuster kündigte weitere Ermittlungen an. Das Urteil habe unabhängig von der Höhe eine starke Signalwirkung und zeige, dass "linksextremistische Gewalt nicht toleriert wird", erklärte er. "Die Ermittlungen verdeutlichen, dass die vier Verurteilten nicht alleine gehandelt haben. Wir werden weiter ermitteln, das Netzwerk weiter aufdecken und sind zuversichtlich, auch weitere Straftäter vor Gericht bringen zu können."

Der Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, Timon Dzienus, nannte das Urteil dagegen "skandalös" und eine "Farce". "Mit einem völlig übertriebenem und auf fragwürdigen Indizien beruhenden Prozess wird mit aller Härte gegen Lina E. und andere Linke vorgegangen", schrieb er am Mittwoch auf Twitter.

Polizei bereitet sich auf "Tag X" vor

Weil die linke Szene Demonstrationen und auch Gewalttaten für den Fall einer Verurteilung für den Samstag - den sogenannten "Tag X" - angekündigt hat, bereitet sich die Polizei auf einen Großeinsatz vor. Die Stadt Leipzig hat am Dienstag das Versammlungsrecht für das kommende Wochenende eingeschränkt. Laut Allgemeinverfügung sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel in Leipzig, die sich inhaltlich auf den Prozess oder Angeklagte beziehen und nicht bis Mitternacht des 31. Mai bei der Versammlungsbehörde angezeigt wurden, und die Teilnahme daran untersagt.

MDR (tomi/ama)/dpa/afp

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 31. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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