Ein Mann mit einem Plakat mit der Aufschrift "Rave on"
Nach 27 Jahren ist Schluss: Am Pfingstmontag haben Hunderte Fans des Clubs zum Abschied demonstriert. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Clubkultur Trauer und Tränen beim letzten Tanz in der Distillery in Leipzig

29. Mai 2023, 21:07 Uhr

Ostdeutschlands ältester Techno-Club, die Distillery, hat sich von Freitag bis Pfingsmontag mit einem 72-Stunden-Rave vom Standort im Leipziger Süden verabschiedet. Weil ein Investor ein neues Stadtviertel auf der Brache direkt neben dem Club bauen will, muss die "Tille" umziehen. Zum Abschied wurde nicht nur getanzt, auf einer Demo verlangten die Clubgänger auch mehr Schutz für ihre Clubszene.



12 Uhr mittags am Pfingsmontag ist der Stecker gezogen worden. In der Distillery drehte sich zum letzten Mal der Plattenteller am alten Standort in der Leipziger Kurt-Eisner-Straße. Danach demonstrierten mehrere hundert Fans vor Ostdeutschlands ältestem Techno-Club. Unter dem Motto #clubsAREculture forderte die Szene mehr Schutz für die Clubkultur. "Die Distillery steht exemplarisch für das Weggentrifizieren von Clubs", kritisierte Tille-Chef Steffen Kache im Vorfeld des "letzten Tanzes" in seinem Wohnzimmer.

Die Distillery steht exemplarisch für das Weggentrifizieren von Clubs.

Steffen Kache Clubbetreiber Distillery

Das war der Abschied von der Distillery

Menschen auf der Straße
Nachdem um 12 Uhr in der Distillery der Stecker gezogen wurde, demonstrierten mehrere hundert Clubgänger vor dem Technotempel für einen besseren Schutz der Clubkultur. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Menschen auf der Straße
Nachdem um 12 Uhr in der Distillery der Stecker gezogen wurde, demonstrierten mehrere hundert Clubgänger vor dem Technotempel für einen besseren Schutz der Clubkultur. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Menschen auf der Straße
Fette Beats wummerten über die Kurt-Eisner-Straße. Manch einer groovte ein letztes Mal zu den Klängen der Bässe. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Ein DJ-Pult, Technik wurde zum Teil abgebaut
Aus und vorbei in der Kurt-Eisner-Straße: Aber Ende des Jahres könnte das DJ-Equipment wieder ausgepackt werden, dann an neuer Stelle in Halle 7 auf der Alten Messe Leipzig. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Auf dem Boden ist ein Herz aus Kerzen gelegt
Ein emotionaler Abschied war der 72 Stunden Rave in Ostdeutschlands ältestem Techno-Club Distillery. Mit einem Herzen aus Kerzen verabschiedeten sich die Fans vom alten Standort. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Eine Frau schaut in die Kamera
Katha hat es noch so gar nicht ganz begriffen, dass es vorbei ist. "Aber das wird bald kommen", sagt sie. Sie hofft, dass auch am neuen Standort das Feeling bleibt wie es war. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Eine Drag-Queen schaut in die Kamera
Miss Mandy Cleenex gehört seit 16 Jahren zum Team der Distillery und hatte eine eigene Show im Club. Sie hofft, dass der Neustart auf der Alten Messe die Clubkultur also solche anerkannt wird. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Ein Mann schaut in die Kamera
Justus ist in der Distillery im Technik-Team. Auch für ihn waren die letzten Stunden "sehr intensiv". "Alle haben auf der Bar getanzt, Luftfeuchtigkeit, 99 Prozent, kein Millimeter mehr Platz. Und ganz viele Tränen gab es", erzählt er. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
 Ein Schild an der Wand, darauf steht "Geschlossen, wie siedeln wieder"
In der Halle 7 der Alten Messe wird der Techno-Club sein neues Domizil beziehen. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler
Alle (8) Bilder anzeigen

Tränen, Emotionen und jede Menge Beats

72 Stunden lang nahmen die Fans der Distillery mit einem Rave Abschied vom alten Standort in der Kurt-Eisner-Straße. Darunter junge Menschen, Clubgänger der ersten Stunde und Neugierige, die die Atmosphäre des legendären Techno-Tempels noch einmal in sich aufsaugen wollten. Da floss so manche Träne, wie bei Maxi und Susan.

zwei Frauen schauen in die Kamera
Maxi (re.) und Susan (li.) nehmen recht emotional Abschied von der Distillery. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Die beiden Frauen waren ab 1998 regelmäßig in der "Tille". Es sei der Club ihrer Jugend gewesen, sagen die beiden Frauen, die völlig emotional auf ein Herz aus Kerzen starren, das auf dem Boden des Clubs so vor sich hinflackert. "Ich stelle es mir für Steffen Kache total schwer vor", sagt Maxi. "Es ist sein Lebenswerk. Irgendwann stehen hier die Bagger und machen den Club platt. Und er sieht, wie alles, was er über 30 Jahre aufgebaut hat, einfach so platt gemacht wird für ein Wohnviertel."

Es ist sein Lebenswerk. Irgendwann stehen hier die Bagger und machen den Club platt. Und er sieht, wie alles, was er über 30 Jahre aufgebaut hat, einfach so platt gemacht wird für ein Wohnviertel.

Maxi Gast der Distillery

Issy und Markus könnten vom Alter her die Kinder von Maxi und Susan sein. Auch sie trauern um das Ende der Distillery am alten Standort in der Kurt-Eisner-Straße. Markus findet es scheiße, dass der Club umziehen muss. "Die Location macht den Charme aus", sagt er. Sein Freund Issy stimmt ihm zu. Der neue Standort auf der Alten Messe werde ein anderer Club, findet er. "Da gibt es nicht die gleiche Vibes wie in der Tille", befürchtet er.

Die Location macht den Charme aus. Der neue Standort auf der Alten Messe wird eben auch ein anderer Club. Da gibt es nicht die gleiche Vibes wie in der alten Tille.

Markus und Issy Gäste der Distillery

Zwei Männer schauen in die Kamera
Beim letzten Rave der Distillery waren auch die beiden Leipziger Issy (li.) und Markus (re.). Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Trauer und viel Emotion auch bei den Team-Mitgliedern um Betreiber Steffen Kache. Ob Justus der Techniker oder Miss Mandy Cleenex, die Dragqueen des Clubs, alle hatten mit ihren Gefühlen ziemlich zu kämpfen. "Es fühlt sich an wie nach Hause kommen. Und irgendwie will man auch nicht wahrhaben, dass es tatsächlich in ein paar Stunden vorbei ist", sagt Mandy.

Clubs sind Kulturstätten

Während es für die Fans und für das Team der Distillery recht emotional zuging, hat der Bundesverband LiveKomm (Livemusikkommission) nochmals Forderungen erneuert und überarbeitet. Unter anderem soll der Bundestagsbeschluss schnell umgesetzt werden, Clubs und Livespielstätten als Kultur-Locations einzustufen. Gefordert wird auch eine Kulturschallverordnung. Diese sieht vor, Kulturgeräusche nicht länger mit Industrie- und Gewerbelärm gleichzusetzen.

Menschen im Außenbereichs eines Clubs vor einer Bühne
Hunderte Menschen nahmen bei einer Demo vor der Distillery Abschied vom Techno-Club. Bildrechte: MDR/Barbara Brähler

Der Bundesverband LiveKomm hat zudem ein Forderungspapier zur kulturellen Stadtentwicklung erarbeitet. Ein Kulturraumschutzgesetz soll verhindern, dass Clubs von finanzkräftigen Investoren verdrängt werden. Außerdem soll ein Bundes-Schallschutzprogramm Kulturorten mit Geld bei Arbeiten zur Schalldämmung unterstützten.

Neuanfang auf der Alten Messe

Eigentlich sollte die Distillery auf das künftige Gleisdreieck ziehen. Weil sich die Baupläne jedoch verzögern, ist wohl erst von einem Baustart Mitte der 2030er-Jahre auszugehen. Solange wird der Club eine Interimslösung auf der Alten Messe als Domizil nutzen. In der Halle 7 gebe es Einbauten wie ein Restaurant und eine Küche, so Kache. "Wir hoffen, dass wir die Energie und das Flair von hier dorthin transportieren können, es wird anders sein, aber es wird vergleichbar sein", erklärt Clubbetreiber Kache.

Wir hoffen, dass wir die Energie und das Flair von hier dorthin transportieren können, es wird anders sein, aber es wird vergleichbar sein.

Steffen Kache Betreiber Distillery

Es ist bereits das zweite Mal, dass der Techno-Club umziehen muss. Schon 1995 zog er vom Standort der ehemaligen Kronen-Brauerei in Connewitz an die Kurt-Eisner-Straße um.

MDR (bbr)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 26. Mai 2023 | 11:30 Uhr

Mehr aus Leipzig, dem Leipziger Land und Halle

Kultur

Der Thomanerchor singt in der Thomaskirche.
Vor 300 Jahren wurde die Johannespassion in Leipzig uraufgeführt. Das nehmen der Thomanerchor und das Gewandhausorchester unter der Leitung von Andreas Reize zum Anlass für zwei große Jubiläumskonzerte in der Leipziger Thomaskirche. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Mehr aus Sachsen