Archivbild: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter posiert beim Christopher Street Day in München mit einer Drag Queen.
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Oberbürgermeister Dieter Reiter würde mit seinen Enkeln zwar nicht hingehen, will die Lesung aber auf keinen Fall verbieten.

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Geplante Drag-Lesung für Kinder sorgt für Kulturkampf in München

Die Stadtbibliothek plant eine Lesung für Kinder zum Thema Rollenwechsel und Verkleidung. Dabei sollen eine Dragqueen und ein Dragking Kinderbücher vorlesen. Die CSU würde die Lesung am liebsten untersagen. Eine hitzige Debatte ist entbrannt.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Dürfen eine Dragqueen und ein Dragking Kindern altersgerechte Bilderbücher zum Thema Rollenwechsel vorlesen? Darüber wird in München wegen einer entsprechenden Veranstaltung der Stadtbibliothek heftig debattiert. Politiker von CSU und Freien Wählern sind dagegen – die Grünen und Teile der SPD haben dagegen kein Problem damit. Oberbürgermeister Dieter Reiter würde mit seinen Enkeln zwar nicht hingehen, will die Lesung aber auf keinen Fall verbieten, wie er am Montag mitteilte.

Stadtbibliothek kritisiert Berichterstattung der "Bild"

Auch die Münchner Stadtbibliothek weist die Kritik um die geplante Familienlesung mit den Dragqueens Vicky Voyage und King Eric BigClit zurück. Das breit aufgestellte Programm richtet sich an eine vielfältige Stadtgesellschaft, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Daher habe man auch Lesungen zum Thema Diversität im Programm. Die Münchner Stadtbibliothek bedauert zudem, dass die Künstlernamen der Beteiligten sowie die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung den Anschein erweckten, man würde ein Travestieprogramm anbieten. Das sei nie geplant gewesen.

Hintergrund der Diskussion ist eine Mitte Juni geplante "Drag-Lesung" für Kinder in der Stadtbibliothek Bogenhausen unter dem Motto "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt". In der Terminankündigung heißt es, "Drag Queen Vicky Voyage mit Drag King Eric BigClit und die trans* Jungautorin Julana Gleisenberg nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten".

Die Münchner Stadtbibliothek betont, dass nur altersgerechte Bilderbücher vorgelesen würden. Im Vordergrund stünden Themen wie Rollenwechsel und Verkleidung, die laut Stadtbibliothek Kinder in diesem Alter sehr beschäftigen. Es liege im Ermessen der Eltern, die Veranstaltung mit ihren Kindern zu besuchen.

💡 Was ist eine Dragqueen / Was ist ein Dragking?

Dragqueens sind – meist, nicht immer – Personen, denen bei Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, und die u.a. im Rahmen von künstlerischen Performances Weiblichkeit(-en) darstellen bzw. parodieren. Beim gezielten Einsatz von Geschlechter-Zeichen geht es dabei zum Teil um das Aufzeigen der Konstruiertheit von Geschlecht, aber auch teilweise um den Ausdruck eigener Identitäten. Es gibt Dragqueens und Dragkings, wobei Dragqueens "Frauen" überzeichnet darstellen und Drag Kings "Männer". Quelle: Sauer, Arn (2018): LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn. / https://100mensch.de/dragqueen-und-dragking/

Drag-Lesung: Aiwanger und Huber poltern auf Twitter

Zuvor hatte sich Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf Twitter entsetzt gezeigt und mit Beleidigungen gegen die Grünen geschossen: "Kinder mit sowas zu konfrontieren ist Kindeswohlgefährdung, nicht 'Weltoffenheit', Ihr grünen Spinner! Eric Große Kli…'liest ja nur nette Märchen vor?'. Der Name spricht für sich. Ihr seid eine Gefahr für unser Land, wenn Ihr sowas gut findet!", twitterte Aiwanger.

CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb am vergangenen Mittwoch auf Twitter: "Lasst Kinder einfach Kinder sein… Vierjährige sollten mit Bauklötzen oder Knete spielen und nicht mit woker Frühsexualisierung indoktriniert werden." Die CSU-Fraktion im Bezirksausschuss Bogenhausen möchte laut "Bild"-Zeitung einen Dringlichkeitsantrag einbringen und den OB auffordern, die Veranstaltung zu unterbinden. Auch die Landtags-AfD fordert auf Twitter eine Absage: "Diesem Treiben können wir nicht taten- und wortlos zusehen. Kinder müssten vor Frühsexualisierung und solch linker Ideologien geschützt werden!"

Grüne: CSU sollte Christopher-Street-Day meiden

Die Grünen im Münchner Rathaus sind konträrer Meinung. Die geplante Veranstaltung bewege sich vollkommen im Rahmen des städtischen Auftrags, auch in der frühkindlichen Pädagogik, Toleranz für verschiedenste Lebensentwürfe und Lebensweisen zu fördern, heißt es in einem Statement. Joel Keilhauer, Vorsitzender der Münchner Grünen, hat für die CSU-Forderung kein Verständnis. Das Mantra "Leben und leben lassen" gelte für die CSU scheinbar nur, soweit es "in ihr Raster aus Weißbier und Trachtenjanker" passe.

"Die CSU sollte den Christopher-Street-Day dieses Jahr tunlichst meiden. Wer den politischen Stadtkonsens aufgibt, nur weil er im Wahlkampf mit weit rechten und ewiggestrigen Themen punkten will, sollte sich im stillen Kämmerlein schämen und nicht auf der Pride-Parade mitlaufen und sich als weltoffen feiern", so Keilhauer.

Oberbürgermeister Reiter will Lesung nicht verbieten

Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sah die Lesung zunächst kritisch und hatte gegenüber der "Bild" gesagt: "Ich habe für diese Art Programm kein Verständnis und glaube nicht, dass das für 4-Jährige geeignet ist." Er selbst würde mit seinen Enkeln nicht zur Lesung gehen.

Am Montag stellte Reiter jedoch klar: "Ein Verbot der Lesung kommt für mich auf keinen Fall in Frage und ich finde diese Forderung reichlich überzogen." Reiter fügte hinzu: "Die Teilnahme an der Veranstaltung ist freiwillig und Eltern können selbst entscheiden, ob sie mit ihren Kindern hingehen möchten oder nicht." Er habe auch kein Problem mit Drag Queens, so der OB. Er stehe "auch weiterhin stabil an der Seite der gesamten queeren Szene".

Der Vorsitzende der Münchner Jusos, Benedict Lang, schreibt in einem Statement: "Die Zahl von Angriffen auf queere Menschen ist in der Vergangenheit angestiegen. Wer wie die CSU gegen Diversität hetzt, nimmt das in Kauf." Wem die Angebote der Stadtbibliothek nicht zusagten, dem stehe es frei, nicht hinzugehen, so Lang. "Wer politisch verbieten will, dass die Diversität unserer Gesellschaft sichtbar gemacht wird, handelt populistisch und fahrlässig. Wir sind über die CSU wenig überrascht, aber erneut empört."

Auch der Giesinger SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff hat mit der Lesung kein Problem, wenn es ein "kindgerechtes Programm" sei. "Ich bezweifle im Übrigen, dass Kinder eine englische Abkürzung verstehen. Aber selbst wenn vermag ich in der schlichten Nennung eines Teils des weiblichen Körpers keinen Skandal zu entdecken", so Roloff auf Twitter.

Scharfe Kritik an CSU und Reiter vom Lesben- und Schwulenverband

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hatte die Aussagen Reiters aus der vergangenen Woche und die der CSU scharf verurteilt. "Die Kosten dieser populistischen Aussagen von CSU und OB Dieter Reiter zahlen queere Menschen, Kinder und Familien in Bayern. Wer Aufklärungsarbeit als schädlich diffamiert, hat nichts verstanden und handelt fahrlässig", so der LSVD auf Twitter.

Und was sagt die Drag Queen Vicky Voyage dazu? Sie postete auf Twitter unter einem kritischen Kommentar des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CSU im Münchner Stadtrat, Hans Theiss, ein Link zu einem Video, in dem englische Kinder auf Drag-Künstler reagieren.

Auf Twitter gibt es bis dato auch weitere verteidigende Kommentare zu der geplanten Lesung. Die Aktivistin und Autorin Jasmina Kuhnke schrieb: "Ich bin der festen Überzeugung, dass meine kleineren Kinder sich darüber freuen würden, wenn ihnen jemand verkleidet vorlesen würde – sie würden nämlich nicht wie Erwachsene in einer Drag-Queen eine Sexualisierung, sondern eine fantastisch toll geschminkte Fee wahrnehmen!"

Republikaner wollen Drag-Shows in den USA verbieten

Die Diskussion fällt in eine Zeit, in der beispielsweise in den USA konservative Hardliner öffentliche Drag-Shows gesetzlich verbieten wollen – oder es teilweise bereits durchgesetzt haben. In der Öffentlichkeit und auf Social Media tobt diesbezüglich ein gewisser Kulturkampf.

Einer der schärfsten Kritiker ist der republikanische Gouverneur Ron DeSantis, der Drag-Shows als "sexualisierte Unterhaltung" bezeichnet. In der vergangenen Woche hatte eine CSU-Delegation um den ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer DeSantis besucht.

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