Blick auf den Gipfelaufbau des Fluchthorns
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Blick auf den Gipfelaufbau des Fluchthorns im Tiroler Silvrettagebirge.

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Bergsturz in Tirol: Auch in Bayern bröckeln Gipfel

Ein Teil des Fluchthorn-Gipfels ist abgebrochen, die Gerölllawine ist zwei Kilometer lang: Im Tiroler Silvretta-Gebirge hat sich ein großer Bergsturz ereignet. Auch in Bayern drohen Fels- und Bergstürze, vor allem ein Gipfel bröckelt.

Über dieses Thema berichtet: Rucksackradio am .

Im österreichischen Bundesland Tirol haben sich am Sonntag im Silvretta-Gebirge nahe Galtür riesige Gesteinsmassen gelöst. Dabei stürzte auch ein Teil des rund 3.400 Meter hohen Südgipfels des Fluchthorns ein. Verletzt wurde niemand, auch die nahegelegene Jamtalhütte war nicht bedroht. In Bayern droht vor allem am Hochvogel bei Bad Hindelang ein großer Felssturz.

Hochvogel droht großer Felssturz

Der 2.592 Meter hohe Hochvogel liegt zur einen Hälfte im Allgäu, zur anderen in Österreich. Im Gipfel klafft ein Spalt, der immer tiefer wird. Dass der Berg bricht, ist seit mehr als 100 Jahren bekannt – der Riss im Gipfel ist über die Jahrzehnte zur Attraktion geworden. Auch weil sich in jüngster Zeit viel im Fels bewegt. Forscherteams der TU München und des Geoforschungsinstituts Potsdam beobachten den Gipfel minutiös, Sensoren registrieren und melden jede Bewegung. "Der Hochvogel hat gerade einen besonders großen Felssturz in Vorbereitung", sagt Prof. Michael Krautblatter, der das Forschungsprojekt für die TU München betreut.

An der Zugspitze würden zwar auch ständig kleinere Stücke brechen, aber die Forscher gehen davon aus, dass am Hochvogel 260.000 Kubikmeter Fels abbrechen werden. "Das ist der halbe Gipfel, der sozusagen wegbricht, das ist nicht so alltäglich", sagt Krautblatter.

Die österreichische Seite ist diejenige, die zunächst abbrechen wird. Ob am Stück oder peu à peu, kann trotz der Messungen noch keiner sagen. "Dieser Fels ruckelt sich frei", sagt Krautblatter. Das bedeutet, dass immer wieder Felsen so groß wie Kleinbusse herabstürzen und zwar direkt in den Bereich des Bäumenheimer Weges, also den Anstieg, der auf österreichischer Seite hoch zum Gipfel des Hochvogel führt. Dieser Weg ist deshalb auch schon seit 2014 gesperrt.

Keine Gefahr für Orte im Tal

Das enorme Tempo, das der Berg bei seinem Verfall an den Tag legt, ist für die Forscher eine seltene wissenschaftliche Gelegenheit, Michael Krautblatter spricht gar von einem "Geschenk" und einer "Gnade", dabei zu sein. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis es im wahrsten Sinn des Wortes knallt. Vieles deutet darauf hin, dass zumindest ein großes Stück möglicherweise noch in diesem Jahr abbrechen wird. Wann genau, lässt sich nicht sicher sagen. Der Berg wird zwar vermessen, aber die Wissenschaft ist noch nicht so weit, exakte Vorhersagen zu treffen.

Auf Allgäuer Seite wird man vom Felssturz vermutlich nur einen ohrenbetäubenden Lärm und eine enorme Staubwolke mitbekommen – der instabile Teil des Gipfels wird nach Süden, nach Österreich, kippen. Der nächstliegende Ort, Hinterhornbach im Tiroler Lechtal, wäre aber nicht direkt betroffen. Dennoch müssten alle rechtzeitig gewarnt werden, insbesondere auch Wanderer und Bergsteiger.

Gesteinsmassen bedrohen Bergdorf in der Schweiz

Auch in der Schweiz rumort es am Berg oberhalb des Dorfes Brienz gewaltig. Am Wochenende sind riesige dicke Gesteinsbrocken hinuntergedonnert. Dort hat sich eine langjährige Gesteinsrutschung im Frühjahr so beschleunigt, dass die gut 80 Einwohner in der ersten Maihälfte vorsichtshalber in Sicherheit gebracht wurden. Bislang sind die Brocken oberhalb des Dorfes liegengeblieben. Es ist aber nicht auszuschließen, dass auch das Dorf getroffen werden könnte.

Unterscheidung: Steinschlag, Felssturz, Muren, Hangrutsch

Zwischen Begriffen wie Fels- und Bergsturz gibt es große Unterschiede. Das schweizerische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) hat ein Dossier zu den verschiedenen Begriffen zusammengestellt.

Darin wird etwa erklärt, dass man bei einzelnen Steinen mit einem Durchmesser von weniger als 50 Zentimetern von Steinschlag spricht. Stürzen Gestein und Felsen mit einem Gesamtvolumen von mindestens 100 Kubikmetern – das entspricht im Durchschnitt dem Fassungsvermögen von 500 bis 600 Badewannen – ins Tal, so handelt es sich um einen sogenannten Felssturz. Ab einer Millionen Kubikmeter Gestein wird aus dem Felssturz ein Bergsturz. Das entspricht dem Volumen von 1.000 bis 2.000 Einfamilienhäusern.

Muren sind ein Gemisch von Wasser mit festem Material wie Gestein und Holz. Diese können vergleichsweise hohe Geschwindigkeiten erreichen und kilometerweit vorstoßen. Wenn festes Material wie Fels und Gestein auf einer festen Unterlage ins Tal gleitet, heißt das Hangrutschung. Das kann ein jahrhundertelanger Prozess sein, kann aber auch spontan und schnell ablaufen.

Im Dossier wird außerdem die Frage beantwortet, warum es – analog zum Lawinenwarndienst – nicht etwa auch einen Felssturzwarndienst gibt. Die Antwort: Natürliche Lawinen sind meist die direkte Folge von meteorologischen Ereignissen wie Schneefall oder Sonneneinstrahlung. Die Lawinengefahr ist daher grundsätzlich prognostizierbar und regional ist sie oft vergleichbar groß. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Muren, Felsstürzen und Ähnlichem um lokale Ereignisse. Ein Hang oder Fels kann instabil sein, der benachbarte stabil. Eine allgemeine Lage anzugeben, ist laut SLF schlicht unmöglich.

Dieser Artikel ist erstmals am 18. Mai 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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