Zahlreiche Güterwaggons stehen auf dem Rangierbahnhof in Mannheim. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / Rene Priebe/dpa | Rene Priebe)

Mehr Güter auf die Schiene

Pilotstandort in Mannheim: Digitale Kupplung soll Technik aus dem Kaiserreich ablösen

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer (Foto: privat)

Mehr Güter sollen auf der Schiene transportiert werden - in einem System, das sich seit hundert Jahren nicht verändert hat. Jetzt soll eine neue Technologie die Lösung bringen.

Die Passagierzahlen sollen bis 2030 verdoppelt werden - dieses Ziel benennen Bundes- und Landespolitik klar. Was oft in der Debatte untergeht: Auch der Güterverkehr soll ausgebaut werden, um mehr Güter auf der Schiene zu transportieren. Doch die Schienennetze sind ausgelastet, wo können also Kapazitäten besser genutzt werden? Die Bahn möchte in den Rangierbahnhöfen neue Kapazitäten schaffen. Bislang vergehen Stunden, um Züge auseinanderzukuppeln und wieder zusammenzustellen. Die sogenannte Digitale Automatische Kupplung - eine neue Kupplungstechnologie - soll das Verfahren beschleunigen. Geplant ist ein Pilotstandort in Mannheim.

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Kuppeln wie zu Kaisers Zeiten

Für viele kaum zu glauben - Güterzüge werden immer noch gekuppelt wie vor hundert Jahren. Ein schwerer Haken wird zwischen den Güterwagen eingehakt, festgezurrt und die Bremsschläuche werden miteinander verbunden. Das Verfahren ist laut Bahn nach wie vor sicher und robust - aber auch veraltet und zeit- und kraftaufwendig. "Ich kupple und entkupple sechs bis acht Züge am Tag", berichtet David Bespol. Er ist Rangierbegleiter auf dem Mannheimer Güterbahnhof. "Das sind dann 200 Güterwaggons am Tag." Eine Kupplung wiegt zwischen 25 und 30 Kilogramm, die jedes Mal einmal angehoben werden müsse. "Und wenn Sie jetzt nach jedem Güterwaggon einmal Kuppeln müssen, dann wissen Sie, was Sie geschafft haben."

"Wenn man das ein paar Mal hat am Tag, dann kann man sich das Gym sparen."

Rangierbegleiter am Mannheimer Bahnhof (Foto: SWR)
David Bespol von der Bahn kuppelt jeden Tag etwa 200 Güterwagen. Ins Fittnesstudio muss er nicht gehen.

Drei bis vier Stunden dauert es, bis ein Güterzug auseinandergekuppelt und wieder zu neuen Güterzügen zusammen gestellt wird. "Nach der Ankunft sind wir mit einem voll ausgelasteten Zug mit dem Entkuppeln über eine Stunde beschäftigt", erklärt der Leiter vom Rangierbahnhof Mannheim, Rene Stadler.

"Was uns viel Zeit kostet, ist das Lösen der Kupplungen und auch wieder das Verbinden der Züge. Da haben wir noch Potenzial in der Zukunft."

Kein händisches Kuppeln mehr - die Digitale Automatische Kupplung

Mit der Digitalen Automatischen Kupplung könnte der Vorgang beschleunigt werden, sagt die Bahn. Mehr als die Hälfte der Zeit soll eingespart werden. Der zweite Vorteil: Die Züge würden automatisch miteinander zusammen gekuppelt werden, wenn sie aufeinandergeschoben werden. Und per Knopfdruck lassen sich die Kupplungen anschließend wieder lösen - das händische Heben der schweren Kupplungen fällt weg.

Die Digitale Automatische Kupplung (Foto: Pressestelle, DB Cargo)
Die Digitale Automatische Kupplung ist laut Bahn entscheidend für die Digitalisierung des europäischen Schienengüterverkehrs und seiner Prozesse.

Der dritte Vorteil: Die Waggons werden auch digital miteinander verbunden. Informationen über Bremsverhalten und Beschaffenheit der einzelnen Wagen würden zusammengetragen werden und könnten den Zugbetrieb schneller und sicherer machen. Bei der Bahn ist bereits ein Pilotzug im Einsatz, der in ganz Deutschland getestet wird. Schon bald soll die Umrüstung der Güterzugflotte in Angriff genommen werden.

Hintergrund: Ausbau des Güterverkehrs in Deutschland und Europa

EU-weit lag im Jahr 2021 der Anteil des Güterverkehrs, der über die Schiene abgewickelt wurde, bei 17 Prozent. In Deutschland waren es 19 Prozent. Doch die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Anteil auf mindestens 25 Prozent zu steigern. Parallel dazu wächst insgesamt der Gütertransport stetig an. Der Güterverkehr auf der Schiene wird also in den kommenden Jahren noch stark steigen. "Wir reden seit mindestens zehn Jahren darüber, dass man das braucht", erklärt der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) dem SWR. Bahn und Politik erhoffen sich über die neue Technologie einen Teil der Kapazitätsengpässe kompensieren zu können.

"Das ist wirklich sehr wichtig", so Verkehrsminister Hermann. "Weil mit der digitalen, automatisierten Kupplung können Güterzüge schneller konfiguriert werden." Er habe auch DB Cargo, dem Güterunternehmen der Bahn, angeboten, dass Baden-Württemberg als Pionierregion zur Verfügung stünde. "Auch im Güterverkehr, nicht nur im Personenverkehr." Allerdings stellt Hermann auch klar, dass die finanziellen Mittel dafür vor allem vom Bund kommen müssen.

Standort Mannheim als strategisch wichtiger Pilotstandort für Europa

Der Rangierbahnhof Mannheim soll bei der Digitalen Automatischen Kupplung eine besondere Rolle spielen: Mannheim wird ein Pilotstandort, an dem die Güterwagen auf die neuen Kupplungen umgerüstet werden. Für einen Standort, an dem bereits jetzt pro Woche 15.000 Güterwagen den Bahnhof verlassen, würde das eine enorme Kapazitätssteigerung bedeuten.

"Für den gesamten Sektor Schienengüterverkehr in Europa ist die Digitale Automatische Kupplung der Gamechanger", schwärmt Rangierbahnhofsleiter Stadler. Bis wann genau die Digitale Automatische Kupplung etabliert sein soll, ist unklar. 2030 wird von der Bahn als Ziel in den Raum gestellt. "Es ist klar, dass das lange dauert", erklärt auch Verkehrsminister Hermann. "Weil die Situationen in Europa sehr unterschiedlich sind."

Leiter vom Rangierbahnhof in Mannheim (Foto: SWR)
Rene Stadler, Leiter vom Rangierbahnhof in Mannheim, glaubt, dass mit der Digitalen Automatischen Kupplung die Abläufe deutlich beschleunigt werden können.

Muss die Kupplung europaweit kommen?

Die Herausforderungen sind groß. Zwei Drittel aller Güterzüge fahren über eine europäische Landesgrenze. Laut Bahn müssten europaweit mit anderen Bahnunternehmen zusammen knapp eine halbe Million Güterwagen umgerüstet werden. Verkehrsminister Hermann widerspricht: Man könne durchaus in Deutschland mit dem Ausbau der neuen Technologie anfangen und wichtige innerdeutsche Güterachsen, zum Beispiel zwischen Nord- und Süddeutschland aufrüsten.

Die Bahn rechnet mit Umrüstungskosten von 15.000 bis 17.000 Euro pro Güterwaggon - europaweit geht sie von sechs bis acht Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Die geschätzten Kosten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 liegen derzeit bei knapp zehn Milliarden Euro. Zu teuer, kritisieren die einen - zu spät sagen die anderen. Aber klar ist: Wenn die Digitale Automatische Kupplung kommt, würde Europa an den Rangierbahnhöfen wie in Mannheim näher zusammenrücken.

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