Zum internationalen Frauentag, dem 8. März, demonstrierten in Berlin mehrere Tausend Frauen. (Archivbild: 08.03.2021)
Kontext

Desinformation gegen Frauen Alarmsignal für die Demokratie

Stand: 08.03.2023 06:32 Uhr

Desinformation gegen Frauen, so zeigen es aktuelle Analysen, funktioniert immer nach ähnlichen Mechanismen - und das international. Frauen würden so gezielt aus dem politischen Diskurs gedrängt - mit Folgen für Demokratie und Gesellschaft.

Von Von Patrick Gensing für tagesschau.de

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist bereits mehrfach Ziel von Kampagnen zur Desinformation geworden - teilweise mit beachtlichem Erfolg: So nahmen deutsche Medien im vergangenen Jahr irreführende Behauptungen gegen die Grünen-Politikerin auf, die mutmaßlich von russischen Urhebern stammten. Der Trick stammt aus der Mottenkiste der Desinformation, ist aber effektiv: Ein Interview der Außenministerin wurde so geschnitten, dass der Sinn komplett entstellt war.

Bereits unmittelbar nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin war Baerbock massiv attackiert worden - unter anderem mit manipulierten Bildern.

Kein Einzelfall, wie eine aktuelle Analyse zeigt. Angriffe, bei denen Frauen in der Politik als promiskuitiv oder mit einer unkonventionellen sexuellen Vergangenheit dargestellt werden, sind eine häufige und wirksame Taktik, um ihnen zu schaden. Lucina Di Meco, Mitbegründerin der Online-Kampagne "#ShePersisted", meint zudem, dass Baerbocks Beispiel auch weitere Phänomene zeigt, über die sie in einer neuen Untersuchung mit dem Titel "Monetizing Misogyny" geschrieben hat.

Die Initiative #ShePersisted setzt sich gegen geschlechtsspezifische Desinformation gegen Frauen in der Politik ein. Die im Februar veröffentlichte Analyse kommt zu dem Schluss, dass geschlechtsspezifische Desinformation nicht nur zu einem Rückschritt bei den Frauenrechten und der Demokratie insgesamt führe, sondern auch die nationale Sicherheit bedroht, wenn ausländische Akteure sie nutzen, um die Gesellschaft zu spalten.

Propagandawaffe gegen Frauen

Die Untersuchung beleuchtet konkrete Fallbeispiele über einen Zeitraum von zwei Jahren in fünf Staaten - Brasilien, Italien, Ungarn, Tunesien und Indien. Dafür wurden mehr als 50 weibliche Führungskräfte befragt, um zu untersuchen, wie autoritäre und illiberale Akteure die Sozialen Medien als Propagandawaffe einsetzen. Oftmals sind demnach diese Angriffe schlimmer für Frauen, die aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen stammen - auch, weil diese von ihren Gegnern als Symbole für multikulturelle Gesellschaften markiert werden.

"Misogynie in der virtuellen Online-Welt ist ein immer schnelleres und besonders wirksames Mittel zur Beeinflussung der digitalen politischen Sphäre", schreibt die Autorin Nitasha Kaul in der Untersuchung. Und da diese Online-Subkulturen unter den Anhängern rechter und rechtsextremer politischer Führer besonders ausgeprägt seien, werde die geschlechtsspezifische Desinformation zum zentralen Instrument, das von Autokraten gegen weibliche Oppositionsführer eingesetzt werde, um die Demokratie zu untergraben.

Plattformen haben "überwiegend versagt"

Die Analyse von Di Meco kommt zu dem Ergebnis, dass digitale Plattformen "beim Schutz von Frauen überwiegend versagt haben". Darüber hinaus hätten Algorithmen, automatisierte Profile und Trending Topics schädliche Narrative gegen Frauen gefördert und verstärkt. Und solche Kampagnen dienen wiederum den kommerziellen Interessen der Social-Media-Plattformen. Obwohl viele Betreiber von Plattformen zwar begonnen haben, Forschung und Initiativen zu solchen Themen zu finanzieren, um Lösungen zu finden, meint Di Meco, dass diese bisher meist nur "Kosmetik" seien.

Und so ist die digitale Revolution für die Demokratie teilweise zu einer Bedrohung geworden. So heißt es in der Untersuchung: "Die digitalen Medien wurden anfangs als ein willkommenes Werkzeug für Emanzipation und Demokratie angesehen, doch werden sie zunehmend ein Werkzeug zur Unterdrückung und eine Waffe, die gegen Frauen in der Politik, Aktivistinnen und Journalistinnen auf der ganzen der ganzen Welt eingesetzt wird."

Opposition soll unterdrückt werden

Die Fachleute warnen zudem, Frauen in der Opposition sollten gezielt zum Schweigen gebracht werden. Staatliche Akteure versuchten Forderungen von Oppositionellen nach einer besseren Regierungsführung so zu unterdrücken. In Italien äußerten mehrere Frauen, die für die Studie interviewt wurden, dass einige politische Parteien bewusst Soziale Medien nutzten, um Hasskampagnen und Online-Belästigungen gegen politische Gegner, insbesondere Frauen, zu organisieren.

Es seien dabei nicht nur die Frauen, die das direkte Ziel dieser Angriffe seien, sondern auch das, wofür sie stehen: Gleiche Rechte für Frauen, aber auch LGBTQI+-Rechte, liberale Werte sowie integrative, vielfältige Demokratien.

Sexistische Berichterstattung

Auch das International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA), eine zwischenstaatliche Organisation mit dem Ziel der weltweiten Demokratieförderung, warnt vor den Gefahren durch die Desinformation gegen Frauen.

Die IDEA prangert zudem eine oft sexistische Berichterstattung an: Frauen in der Politik werden demnach von den Medien voreingenommen, sexistisch und diskriminierend behandelt: "Wenn Reporter über Frauen in der Politik berichten, verwenden sie häufig Begriffe, die die traditionellen Rollen von Frauen betonen und sich auf ihr Aussehen konzentrieren. Sie halten das Klischee von Politikerinnen als schwach, unentschlossen und emotional aufrecht", heißt es in einer Zusammenfassung einer Diskussionsveranstaltung im Dezember 2022 zu dem Thema.

Zudem seien Frauen in der Politik, vor allem schwarze Frauen, "in überwältigendem Maße Missbrauch und geschlechtsspezifischen Desinformationskampagnen ausgesetzt". Ziel sei es, Frauen in der Politik zu diskreditieren, zu delegitimieren und zum Schweigen zu bringen. Studien hätten zudem gezeigt, dass Frauen aufgrund der geschlechtsspezifischen Medienberichterstattung sowie der Desinformation oft entmutigt und davon abgehalten werden, sich in der Politik zu engagieren.

UNESCO warnt vor koordinierten Kampagnen

Auch die UNESCO warnt eindringlich, dass Frauen, die in Berufen tätig sind, die eine öffentliche Online-Präsenz erfordern - wie Politikerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen oder Aktivistinnen für Menschenrechte und Gleichstellung - besonders von koordinierten Kampagnen der geschlechtsspezifischen Online-Desinformation, Belästigung, Hassreden oder sogar Mord- und Vergewaltigungsdrohungen betroffen seien.

Die UNESCO fordert verschiedene Maßnahmen, um das Problem in den Griff zu bekommen - dazu gehört neben Bildung und Strafverfolgung sowie mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Entwicklung von "Künstlicher Intelligenz" auch mehr Regulatorik, die international abgestimmt werden müsse. Zu diesem Schluss kommt auch #ShePersisted: So seien neue, global ausgerichtete Rechtsrahmen und Ansätze zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Desinformation erforderlich.

Selbst dort, wo es Gesetze gebe, sei es extrem schwierig, diese in großem Umfang umzusetzen und den Missbrauch zeitnah zu bekämpfen. So seien anonyme Täter schwer aufzuspüren und die Anzahl solcher Fälle übersteige die polizeilichen und gerichtlichen Kapazitäten. Daher seien Transparenz und "Sorgfaltspflicht" für Social-Media-Unternehmen in Bezug auf den Schaden, der durch ihre Dienste verursacht wird, unabdingbar - um betroffene Frauen und die Demokratie zu schützen.

Anmerkung der Redaktion: Patrick Gensing war bis 2022 leitender Redakteur des ARD-faktenfinders und arbeitet inzwischen nebenberuflich als freier Journalist.